Aufruf des kommunistischen …ums Ganze!-Bündnis anlässlich des Treffens der G20 in Hamburg im Juli 2017.

Zum G20 in Hamburg: Ketten sprengen – Hafen lahmlegen!

Solange es Herren und Sklaven gibt,
sind wir aus unserem Auftrag nicht entlassen.

Hamburg, Tor zur Welt. Das passt doch, denn hier wird es im Juli 2017 stattfinden, das Treffen der zwanzig wichtigsten Charaktermasken des globalen Kapitalismus und ihrem Gefolge. Beim G20-Gipfel treiben die zwanzig wirtschaftsstärksten Staaten die Zurichtung der Welt für ihre kapitalistische Benutzung voran. Und dabei ist der Zustand dieser Welt nach bereits zwei Jahrhunderten zunehmend globaler Mehrwertproduktion mit ihren unauflöslichen Widersprüchen und ihrer grotesken Reichtumsverteilung bereits denkbar katastrophal. In ihr ist es möglich, dass im Burggraben der Festung Europa jedes Jahr mehrere Tausend vor Krieg und Armut flüchtende Menschen ertrinken, während sich der Hamburger Senat bei der Ausrichtung eines politischen Events, das eben diese zehntausendfachen Tode mitverwaltet, als kosmopolitisch und weltoffen inszeniert. Angesichts dieser Gegenwart und der Erfahrungen mit Globalisierungsbewegung, Krisenverwaltung und Gegenprotesten reicht es nicht, das Szenario von Seattle und Heiligendamm einfach zu wiederholen. Wir wollen diesmal anders an die Sache herangehen: Wenn die Chefschweine vom G20 den Blick über den Hamburger Hafen schweifen lassen, wollen wir ihnen in Sichtweite zeigen, was passiert, wenn es den Waren im Hafen so ergeht wie dem großen Teil der Menschheit, der sich nicht frei bewegen kann.

Von Festungen, Lagern und Überflüssigen

Während die Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche weiter fortschreitet, erzeugt die forcierte Automatisierung immer mehr Überflüssige, deren Arbeitskraft vom Kapital nicht gebraucht wird. In einer vernünftig eingerichteten Welt wäre das eine gute Nachricht: Weniger Arbeit für alle. Unterm Diktat kapitalistischer Profitmaximierung aber bedeutet der Einsatz von Maschinen niemals weniger Arbeit, sondern im Gegenteil eine intensivere Ausbeutung der verbleibenden Arbeiter*innen. Nur so können die kapitalistischen Gesellschaften das groteske Problem hervorbringen, dass »nicht genug Arbeit für alle« da ist. Für die Nationalstaaten, die sich in der Weltmarktkonkurrenz gewaltvoll gegeneinander durchsetzen müssen, ergeben sich aus der Situation zwei menschenverachtende Anforderungen: Abschottung nach außen, Repression nach innen. Frontex nach außen, Hartz IV nach innen. Wo es keine Notwendigkeit gibt, die Überflüssigen als Reservearmee der (Re-)Produktion zu pflegen, sind diese potentiell zum Abschuss oder zum Ertrinken freigegeben. Die Ankündigung der Bundesregierung, man wolle global »Verantwortung« übernehmen, klingt in diesem Kontext wie die Drohung, die sie tatsächlich ist. Der »Kampf gegen den Terror« ist Legitimation für kriegerische Interventionen auf dem ganzen Globus. Auch wenn die militärische Stärke bislang nicht das Ausschlaggebende am deutschen Erfolgsmodell ist, ist es für jeden Staat notwendig, auch dieses Eisen im Feuer zu haben. Entsprechend hat die deutsche Regierung jüngst die Gelegenheit zur Erhöhung des Militäretats ergriffen – denn den Platz auf dem Siegertreppchen im harten Geschäft der Standortkonkurrenz möchte man schließlich auf jeden Fall behalten. Dieses nationalistische Interesse teilen übrigens auch die rechten Bewegungen, die allerorts gerade an Stärke gewinnen. Sie zeigen sich dabei als die aller Restmoral entledigte Variante der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. So überlässt eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung die – von der Bundesregierung gut bezahlte – Drecksarbeit in der sogenannten Flüchtlingskrise gern den Maghreb-Staaten oder der Türkei und attackiert zugleich Erdoğan und Trump als Monster. Die Botschaft: Das da sind unmenschliche Autokraten. Unsere Angela Merkel aber herrscht mit menschlichem Antlitz. Als Rechtfertigung für das knallharte deutsch-europäische Grenzregime hat man sich dann anzuhören: Wenn alle Menschen hierblieben, sei das schlicht unbezahlbar – eine Position, die das gesamte politische Spektrum von der Linkspartei bis zur AfD vertritt. Und das ist auch logisch, denn wer im Staat mitmachen und am Kapitalismus festhalten will, der muss die Kosten kalkulieren. Innenpolitisch ist dabei dann nicht die Armut an sich der Skandal, sondern die Verteilung staatlicher Gelder an Fremde. Und für die Fans des aktuellen »kleineren Übels«: Dass auch die Sozialdemokratie nicht erst seit gestern auf das Ensemble von Sozialabbau und Abschottung setzt, weiß niemand besser als der sich als Anwalt der kleinen Leute gerierende SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Der war nämlich als strammer Sozialdemokrat für die Agenda 2010 und als EU-Parlamentspräsident unmittelbar an allen Frontex-Deals beteiligt.

Von Menschen und Waren
Kapitalistische Bewegungsregimes

Die Bundesregierung bekundet übrigens in ihren »Kernbotschaften« zum G20 ihr Interesse für »nachhaltige globale Lieferketten« – selbstverständlich mit dem Ziel, »fairen und freien Handel weltweit zu stärken.« Für eine gelingende Verwertung des Werts reicht dabei die Bewegung der Waren nicht aus, sondern die Menschen, die den Mehrwert schließlich produzieren, müssen potentiell genauso mobil sein. Und so veranstalten die G20 auch mit Blick auf die afrikanischen Länder mehr als »nur« die mörderische Abwehr von flüchtenden Menschen: Ein New Economic Partnership wird angestrebt, dessen neokolonialer Charakter offensichtlich ist. Im Vorfeld des G20-Treffens lädt Deutschland etwa vom 13. bis 16. Juni in Berlin zu einer „Afrika-Konferenz“, um zu zeigen, dass imperiale Dominanz und Ausbeutung heute Smart Governance heißt. So ist das Ziel, das die Staaten hinsichtlich globaler Bewegungen verfolgen, auch nicht die Verhinderung von Bewegung an sich, sondern deren perfekte Überwachung und Steuerung. Deshalb kommen Menschen, obwohl sie keine Turnschuhe oder Flachbildschirme sind, in vielen Fällen ganz legal zum Beispiel über das Mittelmeer und dürfen auch bleiben – vorausgesetzt natürlich, sie haben den richtigen Pass und das Glück, eine derzeit verwertbare Sorte von Arbeitskraft anbieten zu können. Unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet Bewegung für die globalen Eliten eine Geschäftskurzvisite im Luxushotel in Dubai, Paris oder Hongkong und für die peruanische Arbeiterin die Zwölf-Stunden-Schicht in der mexikanischen Maquiladora. Die Unterschiede sind monströs und die Härten entsprechend ungleich verteilt. Aber sie – und wir – leben alle in derselben Welt der kapitalistischen Zweckrationalität. Und die ist grundsätzlich menschenfeindlich. Deshalb muss unser Ziel ein universalistisches sein: Es geht uns nicht um eine »gerechtere« Verteilung jener Härten, sondern um deren Abschaffung.

Von Werten und Untertanen

Für Deutschland als Exportweltmeister ist es einstweilen schon aus Standortgründen opportun, gegen die Trump-Administration die gehabte Version des globalisierten Freihandels zu propagieren. Denn so lässt sich am besten weiterhin ein Haufen deutscher Autos in den USA verkaufen. Zugleich sind nationale Abschottung und neoliberaler Freihandel überhaupt nicht die unvereinbaren Gegensätze, als die sie derzeit von Politikbetrieb und Medien gezeichnet werden. Tatsächlich vermischt die Bundesregierung in ihrer Wirtschaftspolitik beides, ebenso wie die USA und die Türkei. Die harte Entgegensetzung beider Wirtschaftsprogramme verweist vielmehr auf eine politische Repräsentationskrise, die sich bemerkenswerterweise kaum noch als Rivalität von linken und rechten Entwürfen entfaltet. Stattdessen artikulieren größere Bevölkerungsteile allerorts ihre offensichtliche Unzufriedenheit als Kritik am »politischem Establishment« – und begrüßen Kapitalisten und Generäle im Politikergewand als antielitäre Retter des Staates. Oder eben gleich neue Parteien wie die AfD, die ihren Wähler*innen die erwünschte bessere staatliche Herrschaft versprechen. Dabei teilen viele Bürger*innen mit den alten und neuen Eliten naturgemäß mindestens ein Hauptanliegen: Der Laden muss weiterlaufen. In diesem deprimierenden Szenario gelingt es der deutschen Regierung bislang ganz glänzend, die Siegermoral der Weltoffenheit aufrechtzuerhalten. Deutschland ist derzeit nicht nur Exportweltmeister, sondern auch global zweitbeliebtester Investitionsstandort (nach den USA). Hier wird dann folgendes erkennbar: »Freier Westen« meint zuvörderst freie Märkte. Und das Märchen von den gemeinsamen Werten legitimiert nicht nur imperialistisch-»humanitäre« Kriegshandlungen, sondern animiert auch ganz toll zum Mitmachen. Zum Beispiel bei der Demokratie: Unter dem Titel Civic20 beteiligt sich beim G20 auch die sogenannte Zivilgesellschaft bereitwillig an der Verwaltung der kapitalistischen Misere. Alle werden gehört, damit es am Ende eben so bleibt, wie es ist – nämlich immer schlimmer. Die Bereitschaft von Gewerkschaften und Kirchen, hier „gemeinsam mit internationalen Partnern Empfehlungen für die Präsidentschaft Deutschlands“ (www.g20.org) zu erarbeiten, zeugt von gewohntem Untertanengeist und der niederschmetternden Fortgeschrittenheit der Integration der Klassengesellschaft. Daran haben auch fast zwanzig Jahren Gipfelproteste mit Wutgeheul vor den Tagungshäusern nichts geändert. Und unser Hass kennt zwar immer noch kein Maß, aber diesmal schon wieder nur am Tor der Mächtigen rütteln? Sportsfreund*innen, wir haben einen anderen Plan.

Auf in den Hafen:
Logistik angreifen!

Deshalb lautet unsere Devise für den G20-Gipfel in Hamburg: Ketten sprengen! Und zwar die der Logistik. Denn die Ökonomie kann hier auf Höhe der Zeit thematisiert werden: Die Logistik der Produktion als Organisierung des Warentransports ist ein notwendiges Element in der Realisierung des Mehrwerts, ihre Struktur wird deshalb mit dem Anstieg technischer Produktivkraft mit kapitalistischem Zweck immer weiter perfektioniert, und Perfektion heißt dabei: Alle Waren kommen immer schneller und präziser an ihren Zielort, Lagerung und Produktion greifen immer besser ineinander, denn Zeit ist in diesem Fall eben tatsächlich Geld. Ein Ausdruck dieses Verhältnisses ist die Zunahme von Just-in-time-Produktion, also die Fertigung von Waren in punktgenauer Abstimmung mit ihrer Anforderung. Dass wir damit auch den Exportweltmeister Deutschland und sein Austeritätsdiktat treffen wollen, versteht sich von selbst. Zugleich ist die Logistik in diesem Jahrhundert das, was im letzten die Fabrik war: Ein Kristallisationspunkt des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit. Denn auch wenn die gigantische Warenansammlung global immer noch in klassischer Fabrikarbeit produziert wird, bietet die Logistik einen lohnenden Angriffspunkt, um der kapitalistischen Gesamtscheiße etwas entgegenzusetzen. Das drückt sich in den vielfachen Kämpfen aus, die bereits auf diesem Terrain geführt werden. Wir sind also mit unserem Plan, den Hamburger Hafen lahmzulegen, nicht allein und nicht ohne Vorbild: Die Streikenden bei Amazon, die Lastwagenfahrer*innen, die letztes Jahr in Frankreich die Raffinerien blockiert haben, die Hafen-Aktivist*innen von Occupy Oakland. Sie alle haben uns vorgemacht, an welcher Stelle und wie leicht der Kapitalismus mit seinem logistischen Cargo Cult verletzbar ist. Machen wir es nach! Vermutlich überzeugt das erstmal noch keine Mehrheit vom Kommunismus. Doch wir wollen mit der Logistik-Blockade entsprechende Handlungsmöglichkeiten überhaupt aufzeigen und so ein starkes Zeichen für einen neuen Internationalismus setzen, dessen Perspektive antikapitalistisch und dessen Praxis antinational ist. Hamburg könnte dafür ein Anfang sein. Es geht dabei nicht um die Lahmlegung als Selbstzweck, sondern darum, die in der enormen Produktivkraft schlummernden Möglichkeiten endlich vernünftig – nämlich zur gemeinsam geplanten Bedürfnisbefriedigung aller Menschen – zu nutzen. Dazu muss allerdings das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft werden. Und weil eine Massenbewegung, die sich dieser Sache annimmt, derzeit noch nicht in Sicht ist, müssen wir zumindest punktuell Sand in die kapitalistische Maschine kippen, müssen wir, um die Potenziale der antikapitalistischen Kämpfe weltweit für die Zukunft aufzuzeigen, den Normalvollzug des Bestehenden blockieren. Denn ohne Ende kein Neuanfang. Für eine öffentlichkeitswirksame Unterbrechung bietet der G20-Gipfel in Hamburg die perfekte Gelegenheit. Denn wenn die Verwalter der organisierten Hoffnungslosigkeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit zum Klassentreffen laden, ist an eine einfache Wahrheit zu erinnern: Staat, Nation und Kapital gehören genau wie Sexismus und Rassismus auf den Müllhaufen der Geschichte. Darunter bleibt alles nur Fortsetzung des immer Falschen.
Wir sehen uns. Am Donnerstag, den 6. Juli, auf der Vorabenddemo, am Samstag, den 8. Juli auf der Großdemonstration durch die Hamburger Innenstadt im antikapitalistischen Block und vor allem am Freitag morgen im Hafen zu Massenaktionen gegen die Logistik des Kapitals – bevor wir uns dann nachmittags an, pardon, in der Roten Zone wiedersehen.

… ums Ganze!
Kommunistisches Bündnis
1. Mai 2017