Aufruf des kommunistischen …ums Ganze! Bündnis zum M31 – European Day of Action against Capitalism
Dawn of the [Un]dead
Ein Untoter geht um in Europa – der untote Neoliberalismus. Mit Ausbruch der Banken- und Finanzkrise schien diese Form des Kapitalismus erledigt. Protestbewegungen, bürgerliches Feuilleton, ja selbst liberale und konservative Wirtschaftsideologen beklagten plötzlich massive Fehlentwicklungen und „Exzesse des Marktes“. Doch die geforderte Kurskorrektur blieb aus. Der Neoliberalismus lebt auf eigentümliche Art und Weise fort. Er ist irgendwie nicht totzukriegen.
Mit Volldampf weiter Richtung Abgrund
Angesichts des Zusammenbruchs der autoritären staatssozialistischen Regime schien das neoliberale Programm lange alternativlos. Privatisierung, Liberalisierung, Flexibilisierung, Deregulierung – diese Kampfbegriffe galten bis zum Crash 2007/08 als gesellschaftliche Allheilmittel. Heute will niemand mehr mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Der Glaube, ein „freier Markt“ bzw. eine liberalisierte „soziale Marktwirtschaft“ könnten noch „Wohlstand für alle“ (Erhard) garantieren, ist dahin. Der untote Neoliberalismus macht kein glänzendes Zukunftsversprechen mehr, seinen Horizont schmücken keine „blühenden Landschaften“ (Kohl).
Doch wer hoffte, die Blamage des Neoliberalismus münde in eine generelle Kritik kapitalistischer Verwertung und Ausbeutung, wurde enttäuscht. Der Kapitalismus und seine Ideologien erwiesen sich einmal mehr als enorm wandlungsfähig. Die gigantische Aufblähung der globalen Finanzmärkte über die vergangenen Jahrzehnte wurde und wird nicht als Ausdruck einer strukturellen Krise des Weltkapitalismus entziffert. Verantwortlich für die riesigen Kredit- und Schuldenpyramiden, für ihre Instabilität und ihren Crash seien der Profitwahn raffgieriger Manager und die Maßlosigkeit staatlicher „Defizitsünder“. Solche schrillen moralistischen Deutungen überblenden selbst naheliegende sozialpolitische Überlegungen: Ob nicht etwa faktischer Lohnverzicht und die steuerliche Begünstigung höherer Einkommen zur Verschärfung der Krise beigetragen haben. Vollends aus dem Blick gerät die epochale Perspektive auf den Niedergang des „fordistischen“ Produktionsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die Erschöpfung seiner Renditen, die wenigstens zeitweise für Vollbeschäftigung und bescheidenen Massenwohlstand gesorgt hatten.
Statt den beknackten kapitalistischen Zwang zum Schulden machen, zum schuldenfinanzierten Wachstum abzuschütteln, wird behauptet, Staaten und Menschen hätten einfach „über ihre Verhältnisse gelebt“ und es sich zu gut gehen lassen. Durch diese ideologische Deutung lassen sich die massiven Folgen der Krise auf die konjunkturschwachen und abhängigen Staaten der europäischen Peripherie und auf Lohnabhängige abwälzen.
TINA* vs Occupy
*Anmerkung bzw. Fußnote: „TINA“ steht für „There Is No Alternative“, „Es gibt keine Alternative“ – das Totschlagargument der britischen Premierministerin Thatcher für die neoliberalen Reformen der 1980er Jahre.
Mit dem Crash der neoliberalen Ideologie hat der Kapitalismus zwar seine offizielle Utopie verloren. Doch sein Verwertungszwang besteht weiter. Daher wird nun mit leidenschaftslosem Pragmatismus und unter der alten Parole der „Alternativlosigkeit“ wild zusammengewürfelt, was einem so an ökonomischen Rezepten unter die Finger kommt. Der Neoliberalismus existiert in Form verschärfter Sparprogramme und Privatisierungsmaßnahmen fort. Er wird hier und da um eine Schuldenbremse oder einen Rettungsschirm ergänzt. Seine Institutionen, Regeln und Eigentumsverhältnisse werden wie selbstverständlich beibehalten und ausgebaut. Über allem schwebt das Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“: Unternehmen und Standorte sollen sich weiter rastlos auskonkurrieren, bis ans Ende aller Tage.
Wo bloß noch vermeintliche Sachzwänge befolgt werden, erübrigen sich die gewohnten parteipolitischen Geschmacksrichtungen von national-chauvinistisch über konservativ, liberal, grün-alternativ und sozialdemokratisch bis staatssozialistisch. In Italien und Griechenland regieren deshalb inzwischen sogenannte „Technokrat*innen“ und „Spezialist*innen“. Die können krisenpolitische Maßnahmen – in Europa maßgeblich von Deutschland mitbestimmt – ohne Rücksicht auf die nächsten Wahlen durchsetzen, losgelöst von den Legitimationsprinzipien selbst der bürgerlichen Demokratie.
Doch die autoritäre Fortsetzung des Immergleichen bleibt nicht unwidersprochen. Gegen die kapitalistischen Zumutungen hat sich vor allem im letzten Jahr einiges an Widerstand geregt. Zum Symbol dafür sind vielerorts die öffentlichen Platzbesetzungen und Zeltstädte geworden, die Assembleas und die Occupy-Bewegung. Aus unterschiedlichsten Gründen gingen Menschen auf die Straße, die mit dem Zustand ihrer Gesellschaft nicht einverstanden sind. Was diese spontane, mittlerweile wieder etwas abgeschwächte Protestbewegung ausgezeichnete, war ihr internationaler Charakter, und ihr Anspruch, die kapitalistische Ordnung als Ganze zu hinterfragen. Problematisch war häufig die Staatsfixiertheit ihrer Forderungen, und eine oft moralisierend verkürzte, nationalistisch und verschwörungstheoretisch unterlegte Kapitalismuskritik.
The next Episode…
Mit einem europäischen Aktionstag am 31. März 2012 – „M31“ – wollen wir nun eine neue Phase der Krisenproteste einläuten. Zusammen mit politischen Initiativen in Deutschland und mit Genoss*innen aus anderen europäischen Ländern rufen wir zu zeitgleichen Demos und Aktionen auf. Wir wollen dabei an Kämpfe vor Ort anknüpfen, und gleichzeitig die nationale Beschränktheit der bisherigen Proteste überwinden. Der Kapitalismus und seine Krisen sind schon global, unser Widerstand muss es noch werden.
Gegen die autoritäre Maßnahmenpolitik der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) setzen wir eine emanzipatorische Perspektive: Eine Gesellschaft jenseits der verrückten Sachzwänge kapitalistischer Verwertung, Ausbeutung und Konkurrenz. Der deutsche Krisennationalismus mit seiner Hetze gegen „Pleite-Griechen“ und seiner Opferbereitschaft für den Standort gehört auf den Müll. Wir wollen eine Gesellschaft, in der die vielfältigen Bedürfnisse aller im Mittelpunkt stehen. Und wir wollen sie offensiv erstreiten – zusammen mit Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Migrant*innen und Menschen in Ausbildung all over Europe. Uns ist klar, dass das einen langen Atem verlangt. M31 endet nicht am 31. März. Wir vernetzen uns für eine langfristige Zusammenarbeit, und werden auch in Zukunft gemeinsame Sache machen gegen Staat, Nation und Kapital. Wir rechnen mit vielen Diskussionen und auch Streitpunkten, aber wir wollen politische Differenzen konstruktiv austragen. Der 31. März ist ein Startpunkt für weitere Kämpfe, die wir in Zukunft auch auf europäischer Ebene organisieren werden.
Für den 31. März rufen wir zu einer bundesweiten Demonstration in Frankfurt auf. Frankfurt ist Sitz der EZB, hier verhandelt die Troika über Kürzungsprogramme und Reformauflagen. Als europäische Notenbank ist die EZB keine Geschäftsbank wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank. Mit ihren währungspolitischen Befugnissen ist sie ein zentrales Instrument der Euro-Zone zur Sicherung und Steigerung ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit, und damit der Vormachtstellung Europas. Gleichzeitig stützt die EZB die konkrete Maßnahmenpolitik der EU gegen angeschlagene Staaten, z.B. über den Kauf (oder Nichtkauf) von Staatsanleihen, und über die Vergabe (oder Nichtvergabe) von Geldmitteln an Geschäftsbanken. Es geht uns also nicht um Banken-Bashing. Im Zentrum unserer Kritik steht der systemische Charakter anonymer Verwertungszwänge im Kapitalismus, das sinnlose Fortleben eines untoten Regimes.
So let’s shake things up! Wir möchten Unruhe stiften um befriedeten Zentrum des europäischen Kapitalismus. Wir demonstrieren gegen die Zumutungen der Politik von EU-Kommission, EZB und IWF, gemeinsam und solidarisch mit allen, die in anderen Ländern für eine befreite Gesellschaft kämpfen.
Für einen internationalen Antinationalismus! Für den Kommunismus!
Demonstration; 31. März | 14 Uhr | Hauptbahnhof Frankfurt am Main.
Extrakasten: Deutschlands fragwürdiger Siegeszug in der europäischen Konkurrenz
Deutschland ist als größte europäische Volkswirtschaft selbst Teil der Krisen anderer Länder. Mit seiner jahrzehntelangen Niedriglohnpolitik trotz enormer Produktivität und seiner Exportorientierung hat Deutschland in der innereuropäischen Konkurrenz industriekapitalistische Wachstumsimpulse anderswo abgewürgt. In der europäischen Peripherie beruhte Wachstum deshalb wesentlich auf hochspekulativen Anlagemodellen, die mit der Krise zusammengebrochen sind. Ohnehin benachteiligt und durch Krisenausfälle belastet, müssen diese Länder bzw. ihre Unternehmen nun u.a. bei deutschen Banken zu hohen Zinsen Geld leihen, um weiter benötigte Waren aus Deutschland kaufen zu können. Die Mittel dafür werden den heimischen Lohnabhängigen abgeknöpft. Gerät die Rückzahlung ins Stocken, sind weitere Sparprogramme und Kürzungen fällig – die die kapitalistische Wirtschaftskraft der betroffenen Länder weiter belasten, während die verbliebenen Gewinne ins Ausland transferiert werden. Diese Austeritätspolitik stößt natürlich irgend wann an ihre Grenzen: Wo nichts mehr gedeiht, bricht auch die Nachfrage nach deutschen Exporten ein, die deutschen Konzerne und der Mittelstand werden mit in die Krise gerissen, und damit auch der deutsche Staat. Deshalb ist selbst Deutschland zu krisenpolitischen Kompromissen gezwungen. Es entscheidet aber vorerst noch selbst darüber, zu welchen.