Ein Plädoyer von …ums Ganze! dafür, den Kampf gegen den Rechtsruck mit den Auseinandersetzungen im Logistiksektor zu verbinden:

Prime live now!

Emanzipatorische Politik muss immer zu den Schein einer‚ natürlichen Ordnung‘ zerstören, sie muss das, was sich als notwendig und unausweichlich darstellt, als eine bloße Möglichkeit unter anderen zeigen, genauso wie sie das, was zuvor als unmöglich bestimmt wurde, als erreichbar zeigen muss. – Mark Fisher

Preisfrage: Was hat ein Streik bei Amazon mit Antifaschismus zu tun? Antwort: Eine Menge. Krise, Konkurrenz, Prekarisierung – das ist die Signatur der Gegenwart, auf die sowohl die Erzählungen reaktionärer Akteur_innen wie der Alternative für Deutschland (AfD) als auch die Gesellschaftsvisionen der Zukunftsarchitekt_innen des Silicon Valley reagieren. Aber weder der Rückzug in die Nation, noch eine digitale Technokratie können das gutes Leben verwirklichen – schon gar nicht dann, wenn es ein gutes Leben für alle sein soll. Um gegen die Kulturalisierung gesellschaftlicher Konflikte wie gegen deren technokratische Verwaltung in die Offensive zu kommen, gilt es, die Verhältnisse als von Menschen gemachte und also auch von ihnen veränderbare zu zeigen. Dafür bieten die grenzüberschreitenden Arbeitskämpfe im Logistiksektor einen guten Anknüpfungspunkt. Der als Versandhändler getarnte Logistikgigant Amazon ist daher am 24.11. („Black Friday“) die richtige Adresse, um für eine solidarische Zukunft zu streiten.

Angriff ist die beste Verteidigung

Der Rechtsruck bei den Bundestagswahlen hat gezeigt: Die jahrzehntelange Herrschaft neoliberaler Alternativlosigkeit hat reaktionäre Ungeheuer ausgebrütet. Die Weltwirtschaftskrise, deren katastrophalen Auswirkungen durch die deutsche Politik verschärft, aber vor allem auf die Schultern der Schwächsten hier und anderswo ausgelagert wurden, ist auch den von den Krisenauswirkungen selbst (noch) nicht dermaßen Betroffenen nicht verborgen geblieben. Angesichts des fortgesetzten Managements der Stagnation, entlädt sich die Erkenntnis, das offensichtlich nicht alles gut ist, nun allerdings autoritär. Anstatt gemeinsam für etwas besseres als die Nation zu kämpfen, erhofft man sich von der nationalen Option die Verteidigung der eigenen Privilegien.

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) sind erstmals seit 1953 offen völkisch-nationale und faschistische Positionen im deutschen Bundestag vertreten. Derweil geht die Verwaltung der „marktkonformen Demokratie“ (Merkel) weiter – nun eben in der Jamaika-Variante einer längst selbst verrohten Bürgerlichkeit. Ein Teil der ‚Linken‘ stützt den nationalistischen Diskurs in der Hoffnung auf ein paar mehr Wähler_innenstimmen. Diese Fraktion verspricht ein Zurück in die Enge des nationalen Sozialstaats und redet damit der Abschottung das Wort. Aber die Nationalstaaten sind die entscheidende Stütze der globalen Standortkonkurrenz und geben den Konkurrenzdruck direkt nach unten weiter: Hartz IV für die Vielen, Steuergeschenke für die Wenigen. Sozial geht nicht national. In einem weltumspannenden Kapitalismus kann die soziale Frage nur grenzübergreifend und universell beantwortet werden.

Die politische Ökonomie des Rechtsrucks

In dieser Situation kann die antifaschistische Linke nicht einfach weiter machen wie bisher. Sie muss im Gegensatz zum neoliberalen ‚Weiter-So‘ wie zur reaktionären Verklärung der Vergangenheit eine gestaltbare Zukunft aufbauen. Die Aktionen gegen die Festung Europa und ihre Fans in den letzten Jahren waren wichtig. Sie haben immer wieder auf den „kalten“ Rassismus des bürgerlichen Staats und seiner Polizei- und Abschiebemaschienerie hingewiesen. Und sie haben die Etablierung der AfD behindert sowie deren völkischen und faschistischen Charakter aufgezeigt. Verhindern konnten sie ihren Einzug in den Bundestag nicht. Das hat strukturelle Gründe: Der rechte Kulturkampf als ‚konservative Revolution‘ bedient die unterschiedlichen Krisenerfahrungen des postfordistischen Kapitalismus – das Gefühl wachsender Unsicherheit, das Wissen um die eigene Ersetzbarkeit, die Ohnmacht gegenüber sozialen Entwicklungen, die als Schicksal (oder Verschwörung) erfahren werden. Sie werden zu Momenten der reaktionären Erzählung, nur die nationale Wagenburg samt Kleinfamilie könne Schutz und „Ordnung“ vor den Zumutungen der „Globalisierung“ bieten. Was richtig ist: Die Versprechen weltweiter Vernetzung, Automatisierung und Digitalisierung – nämlich (körperliche) Not zu vermindern und Bedürfnisse schneller, besser und genauer befriedigen zu können, für die nicht zuletzt auch Amazon steht – erweist sich unter den bestehenden Verhältnissen als Märchen. Vielmehr drohen die fortschreitende Automatisierung vieler Tätigkeitsbereiche und die globale Konkurrenz um Arbeitsplätze diejenigen auf dem Arbeitsmarkt überflüssig zu machen, die ohnehin nicht besonders gut dastehen. Solange die Existenz der Allermeisten vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängt, handelt es sich dabei um eine existenzielle Bedrohung. Nationalismus ist dann vor allem das Angebot, dass andere überflüssig werden, bevor man selbst dran ist. Ob man arm oder von Armut bedroht ist, ist aber eine Frage kapitalistischer Reproduktion, die notwendig Gewinner_innen und Verlierer_innen produziert. Es sind dann auch nicht so sehr die bereits Abgehängten, die jetzt die AfD in den Bundestag gewählt haben, sondern vor allem diejenigen, die sich um ihre Position im Konkurrenzkampf sorgen und deshalb mit allen Mitteln wenigstens den Status Quo erhalten wollen. Bei ihnen zieht die Souveränitätsfiktion des Nationalismus besonders gut. Sie artikuliert den Anspruch darauf, wenigstens nicht auch noch teilen zu müssen, was man selber hat. Die Artikulation der Fiktion erlaubt es außerdem offene Befriedigung daraus zu ziehen, dass es diesen „Anderen“ dabei noch schlechter geht, als einem selbst. Wer diese Position wählt, entziehen sich damit auch der eigenen Verantwortung als Krisen- und Kapitalismusgewinner_innen, egal wie mager dieser Gewinn auch ausfallen mag. Eine Linke, die weder bei diesem Rückfall in einen chauvinistischen Autoritarismus mitmachen, noch sich in einer langfristig hoffnungslosen Verteidigung der leidlich diskreter abgewickelten Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft einrichten will, muss antikapitalistische Handlungsfähigkeit entwickeln.

Alle Pakete bleiben liegen, wenn…

Die länderübergreifende Mobilisierung gegen den Logistikdienstleister Amazon kann dafür ein Schritt sein. Die rasanten Neuerungen im Transport und der Lagerung von Rohstoffen, Waren und schließlich auch Produktionsmitteln verschärften gemeinsam mit Freihandelsabkommen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Die globalisierungskritische Bewegung griff die dadurch eröffneten Möglichkeiten an, umwelt- und arbeitsrechtliche Bestimmungen zu unterlaufen. Doch sie konnte kein Druckmittel entwickeln, um selbst zu intervenieren. Denn die mit der Logistifizierung einhergehende Vervielfältigung und Zerteilung der Arbeitsprozesse hat nicht zuletzt die Bedingungen (betrieblicher) Organisation enorm verkompliziert.

Amazon ist Vorreiter einer »digitalen Taylorisierung«, das heißt von lückenloser Kontrolle und maschineller Menschensteuerung. Das gilt in den gigantischen Lagerhallen, in denen jede Tätigkeit durch einen Handscanner registriert wird, oder bei den Crowdworkern zuhause, deren Tastenanschläge gemessen und ausgewertet werden. Die Digitalisierung und die dieser folgenden Automatisierungsschübe im Logistikbereich gingen mit der Qualifizierung Weniger und einer massenhafter Proletarisierung Vieler einher. Durch die aggressive Ausweitung seiner Marktmacht übt Amazon Druck auf Produzent_innen aus und beeinflusst auch die dortigen Arbeitsverhältnisse. Die Unternehmensstrategie Amazons zielt darauf, Konkurrent_innen zu übertrumpfen und oder aufzukaufen, um so eine Monopolstellung zu erlangen. Dafür werden die Kund_innen in zunehmend geschlossenen Systemen wie dem digitalen Assistenten „Amazon Echo“ an das Unternehmen gebunden. Das gibt dem Unternehmen weitgehende Zugriff auf die weitere Entwicklung. Amazon experimentiert in Kalifornien bereits mit Zustelldrohnen und dem ersten vollautomatischen ‚Fulfillment Center‘, wie die Warenlager im Amazon-Sprech heißen. Flexiblere Distributionswege kommen dabei nicht allein den Kund_innen zu Gute. Sie ermöglichen dem Unternehmen vor allem lokale Streiks deutlich leichter zu umgehen. Das heißt: Wenn Amazon in Leipzig bestreikt wird, bearbeiten Angestellte in Poznan die Bestellungen, so dass sie schließlich von dort aus nach Berlin geliefert werden können. Die Beschäftigten müssen sich folglich nach neuen Formen des Arbeitskampfs umsehen, wenn sie sich mit ihrer realen Subsumtion unter die Logistik nicht abfinden wollen. Da trifft sich gut, dass sich trotz und wegen der geschilderten Widrigkeiten gerade unter ihnen seit Jahren erheblicher Widerstand regt. Hierbei entstehen neue Arten der Bezugnahme aufeinander, die den Logistik- und Wertschöpfungsketten folgend genuin betriebs- und länderübergreifend sind. Das zeigen die nicht zum erliegen kommenden Auseinandersetzungen bei Amazon in Leipzig, Bad Hersfeld, Graben, Rheinberg, Werne, Koblenz – und die gegenseitigen Solidarisierung mit Kämpfen in Polen, Frankreich, Italien und England.

Eine Zukunft, an die man glauben kann?

Die zentrale Bedeutung der Logistik in der Organisation kapitalistische Produktion im 21. Jahrhundert erzeugt zugleich Bedingungen, unter denen wir etwas von der verlorenen Handlungsmacht zurückerobern können. Als Nadelöhr der just-in-time-Produktion findet die Logistik teilweise in aller Öffentlichkeit, also auf der Straße, statt, wo sie auch unterbrochen werden kann: und zwar nicht nur oder gar allein von den Beschäftigten. Mit einer letztlich schlichten Demonstration war etwa anlässlich des G20-Gipfels ein wesentlicher Teil der Hafenlogistik in Hamburg kurzzeitig stillgelegt, was einen Rückstau entlang der Lieferketten erzeugte. Eine Blockade kann damit zum Mittel sozialer Auseinandersetzung werden – die dabei selbst neu zu fassen sind. Denn Amazon ist nicht nur Pionier für desaströse Arbeitsverhältnisse, die durch seine enorme Marktmacht auch über die Logistikbranche hinaus standardisiert werden. Das Unternehmen steht mit einer Expansion der vermeintlichen „smarten“ Welt in alle Bereiche des Alltags auch für eine Zukunftsvision, in der über eine bestimmte, nämlich kapitalistische Form von Digitalisierung und Automatisierung, das Leben bis in die intimsten Bereiche der Verwertung zugeführt wird. Mit den arbeitenden Kund_innen, die in einer zunehmend abgezäunten virtuellen Welt in Optimierungsschleifen und Bewertungen verharren, schafft der digitale Kapitalismus ein Informationsproletariat. Apps und Algorithmen werden zu Fließbändern. Produktive und individuelle Konsumtion sind nicht mehr voneinander getrennt, selbst „die couch potato wird zum produktiven Fernsehrproletarier!“ (Timo Daum)

Zen fascists will control you 100% natural / You will jog for the master race / And always wear the happy face

Dead Kennedys – California über Alles

Während Amazon und verwandte Unternehmen aus dem Silicon Valley in Kalifornien mit ihren Diensten und Produkten permanent ein „besseres“ oder zumindest schöneres, aufregenderes, vor allem aber „smartes“ Leben versprechen, verbleiben ihre durch die Digitalisierung ermöglichten Dienste und Produkte im Rahmen kapitalistischer Zwänge: Der Pleonasmus einer „smarten“ Vernunft ist nichts anderes als instrumentelle Vernunft 2.0, verinnerlicht und unerbittlich. Die hierbei beständig erzeugten und dabei niemals vollständig zu befriedigenden Bedürfnisse haben zum Zweck, weitere Gelegenheit zur Akkumulation zu schaffen. Nicht zuletzt basiert deren Befriedigung auf der gezielten Unsichtbarmachung ihrer eigenen Existenzbedingung: Der brutalen Ausbeutung entlang globaler Wertschöpfungsketten, deren zynische Brutalität da letztgültig aufscheint, wo die Menschen, die an ihren Enden arbeiten, zugleich fröhliche Mitglieder der Amazon Family und glückliche Kund_innen sein sollen. In Europa und den USA sind die Nutzer_innen und Ausgebeuteten der sogenannten Gig-Economy weitgehend identisch. Das Motto, das das Innere der Amazon-Lager schmückt – „Work hard. Have fun. Make History“ – erinnert jedenfalls nicht von ungefähr an das Mantra des Neoliberalismus: „Work hard, play hard“. Das daran geklatschte Zukunftsversprechen der Kalifornischen Ideologie ist nichts anderes als die Verschärfung kapitalistischer Herrschaft mit einem smarten Lächeln.

Make Amazon Pay, fascists cry and capitalism history

Es ist die Art und Weise, in der wir unsere grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen gestalten, die immer wieder Angst erzeugt: nicht die viel thematisierte rassistische Angst vor einer eingebildeten Gefahr und nur vermittelt die wenig thematisierte reale Angst vor der rassistischen Gefahr. Was die kapitalistische Ökonomie unentrinnbar erzeugt, ist eine allgemeine Angst: die Angst, nicht zu genügen, überflüssig zu sein, ersetzt zu werden. „Die Abschaffung der Angst“, konnte Theodor W. Ador­no deswegen bündig formulieren, „ist die Aufgabe der Revolution.“ – Bini Adamczak

Wir rufen dazu auf, die Mobilisierung gegen den Logistikdienstleister Amazon zu nutzen und sich an der Kampagne Make Amazon Pay im November 2017 anlässlich der Rabattaktion am sogenannten Black Friday zu beteiligen. Am Black Friday, der insbesondere in den USA weit verbreitet ist, schlagen sich die kapitalistisch zugerichteten Individuen im Zuge einer konzertierten Schnäppchenjagd um Produkte, die ein Jahr später veraltet sind, worauf das ganze Spiel von vorne beginnen kann. Amazon nutzt den Black Friday seit einigen Jahren zunehmend aber auch in Europa, um hier seine Marktmacht auszudehnen. Am 24.11. werden wir diesen Zirkel mit einer Blockade des Auslieferzentrums am Kuhdamm-Karree in Berlin sowie Aktionen in vielen anderen Städten wenigstens zeitweilig unterbrechen.

Bei Amazon kreuzen sich zentrale Tendenzen des gegenwärtigen Kapitalismus, aber auch des Widerstands gegen sie. Die kapitalistisch organisierten technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte erlaubt in der ganzen Dürftigkeit ihrer Resultate aber immerhin eine Ahnung davon, welche Möglichkeiten uns die herrschenden Produktions- und Eigentumsverhältnisse vorenthalten. Wo Nationalismus und Rassismus anstelle eines solidarischen Bezug aufeinander stehen, da liegt die Aufgabe einer radikalen Linken auf der Hand: Als Antifaschist_innen rufen wir dazu auf, ihnen mit aller Entschiedenheit zu begegnen. Als Kommunist_innen bleibt das Ziel unserer Politik, diese Abwehr überflüssig zu machen.

  • 20 – 26. November 2017 bundesweite Aktionswoche Make Amazon Pay
  • November 2017 Block Black Friday Kudamm-Karree, Berlin

makeamazonpay.org
umsganze.org