Vorweg:

Wir haben im Jahr 2012 das Papier „Der Klassenkampf und die Kommunist*innen“ geschrieben, auf das wir im Folgenden aufbauen wollen. Die Thesen sollen eine Zuspitzung darstellen und gleichzeitig als Diskussionsgrundlage für die eigene Praxis in sozialen Kämpfen verstanden werden. Wir wollen mit diesem Text mit Anderen ins Gespräch kommen und Diskussionen in unserer Gruppe weiterführen. Wir haben uns bewusst für die Form der Thesen entschieden, in dem Wissen, dass nicht alle Einzelheiten ausbuchstabiert sind. So wollen wir zu einer Diskussion anregen, die von folgenden Fragen ausgeht: Was verstehen wir unter sozialen Kämpfen, warum sollten wir uns mit ihnen beschäftigen? Wenn wir sie führen, mit welcher Form und welchen Inhalten? Und wann können sie aus kommunistischer Perspektive erfolgreich sein?

These 1

In unserem alltäglichen Leben erfahren wir diese Gesellschaft als zutiefst widersprüchlich. Auch wenn diese Widersprüche nicht unbedingt einsichtig sind oder sein müssen, sind sie keineswegs abstrakt, sondern realisieren sich konkret in der ständigen Schaffung neuer sozialer Ungleichheiten und Formen von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen.
Soziale Kämpfe sind Kämpfe um unsere Stellung und Handlungsoptionen. Sie sind der Gesellschaft immanent, da diese widersprüchlich ist und fortlaufend Auseinandersetzungen produziert. Es gibt deshalb keinen konfliktfreien Ort. Soziale Kämpfe sind die Erscheinungsebene der Widersprüche. Es geht darum, diese offenen oder verdeckten Kämpfe anzuerkennen und bewusst zu führen. Es sind Auseinandersetzungen die wir ständig und in verschiedenen Bereichen führen. Wobei anzumerken ist, dass, wenn wir sie nicht bewusst führen, wir sie mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren werden. Denn eine gewisse Klarheit über die eigene gesellschaftliche Situation ist Voraussetzung, um in den Auseinandersetzungen zu bestehen. Diese können aber auch im Interesse der herrschenden Ordnung sein. Denn sie sind auch ein Regulationsmechanismus und Ventil des Unmuts über die Widersprüche, das gesellschaftlich stabilisierend wirkt.

These 2

Eine zentrale Funktion des Gewaltmonopols des Staates liegt darin, das Eigentum zu schützen. Während einige Wenige Privateigentum an Produktionsmitteln besitzen, ist die Mehrzahl der Menschen gezwungen, will sie nicht mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten, ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen. Die Verhältnisse zwingen uns letztlich dazu, an unserer eigenen Ausbeutung mitzuwirken und den Profit der Kapital-Eigentümer*innen zu erwirtschaften. Zumeist finden sich die Menschen als Konkurrent*innen und Vereinzelte auf dem Arbeitsmarkt, anstatt solidarisch zu handeln.
Ausbeutung findet dabei nicht nur in der Sphäre des Arbeitsmarktes statt, sondern verschärft und verfeinert sich in einem Bereich, der nicht selten als ‚Privat‘ gilt und der von keinem Tarifvertrag erreicht wird. Dazu zählen notwendige Arbeiten, die nicht marktförmig organisiert sind, wie z.B. die Haus-, Pflege-, Erziehungs- und Sorgearbeit.
Diese Aufteilung der Gesellschaft in zwei Bereiche, die Produktionssphäre und Reproduktionssphäre, erfolgt dabei entlang des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses. Diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist eine wesentliche Form, in der die jetzige Gesellschaft patriarchal strukturiert ist.
Das Patriarchat ist älter als diese Gesellschaft und war bereits Teil der dieser Gesellschaft vorangehenden Feudalgesellschaft. Bei der Entstehung des Kapitalismus wurden bereits vorhandene patriarchale Verhältnisse unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen fortgeführt.
Um das Patriarchat abschaffen zu können, müssen wir auch die gesellschaftlichen Umstände die es immer wieder aufs neue konstituieren und strukturieren abschaffen: Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und damit das Privateigentum an Produktionsmitteln.
Mit dessen Abschaffung leben wir noch nicht im Kommunismus. Weder wird das Patriarchat oder andere dieser Gesellschaft immanente Ideologien wie Rassismus oder Antisemitismus einfach verschwinden. Die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln ist aber die Voraussetzung, um anzufangen, die Gesellschaft so einzurichten und zu gestalten, dass die Überwindung dieser Ideologien möglich wird. Können sich die Einzelnen in dieser Gesellschaft nur als Agenten der gesellschaftlichen Verhältnisse begegnen, z.B. als Lohnarbeiter*in und Unternehmer*in, so ist der Kommunismus, die Gesellschaft in der der Mensch tatsächlich zum Menschen werden kann. Der Kommunismus ist die Gesellschaft, welche die Menschen planmäßig miteinander, entsprechend ihrer Bedürfnisse und Interessen, gestalten können.

These 3

All die alltäglichen Zumutungen von Patriarchat und Lohnarbeit teilen wir mit der überwiegenden Anzahl der Menschen. Dabei mögen diese Zumutungen naturhaft erscheinen, sind aber gesellschaftlich bedingt. Sie werden immer wieder neu gemacht und bestätigt. Das dies so ist, liegt nicht in der Verantwortung von Einzelnen. Es liegt aber in unsere Verantwortung, dies als politisch zu begreifen und ihre Veränderbarkeit aufzuzeigen sowie anzuschieben. Beispielhaft hierfür sind unsere Arbeitsbedingungen oder die Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses.
Das mehrheitlich Frauen* den Abwasch machen, Männer im Durchschnitt einen höheren Lohn bei vergleichbarer Arbeit und Qualifikation erhalten und Leuten auf Grund ihres Geschlechts Eigenschaften zugeschrieben werden und manche Bedürfnisse nicht ausgelebt werden können, ist politisch. Dass die Mieten so steigen das sie nicht mehr bezahlbar sind oder Schüler*innen am nächsten Test verzweifeln, ist politisch. Es gilt, für eine Gesellschaft zu streiten, in der die vermeintlich privaten Bedürfnisse und Nöte, nicht nur anerkannt, sondern auch zu ihrem Recht kommen.

These 4

Wir wollen nach der Revolution nicht den Staat und die Verkehrsformen dieser Gesellschaft übernehmen.
Der Staat mit seinem Gewaltmonopol ist Garant und Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse – und umgekehrt. Er vertritt als Staat dabei nicht die besonderen Interessen einer Klasse, sondern handelt als ideeller Gesamtkapitalist. Er taugt zu nichts anderem als zur Organisierung und Aufrechterhaltung von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen Wir aber wollen an ihre Stelle die gemeinsame gesamtgesellschaftliche Selbstverwaltung und Planung setzen. Deswegen muss der Staat zerschlagen werden.
Diese Gesellschaft bringt Strukturen und Verhältnisse hervor, in denen sich die Menschen bewegen. Sie formt und strukturiert auch die Individuen, deren Psyche und Verkehrsformen, also ihren Umgang miteinander. Die Individuen treten sich als Konkurrenzsubjekte entgegen.
Deshalb wollen wir einen möglichst herrschaftsfreien Umgang bereits in dieser Gesellschaft einüben, Strukturen gesellschaftlicher Selbstverwaltung formen und so versuchen, die Keimformen einer befreiten Gesellschaft zu entwickeln. Wir müssen Räume und Möglichkeiten schaffen, Organisierungsformen zur Verfügung stellen und Wissen weitertragen. Die Selbstorganisation in sozialen Kämpfen ist daher die Organisierungsform, die zu unserem Ziel einer befreiten Gesellschaft passt.
Der Kampf um konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt und eine revolutionäre Perspektive in Richtung einer befreiten Gesellschaft gehören dabei zusammen.
Aber selbst Mieter*innenbündnisse, Betriebsgruppen, Jugendzentren oder autonome Kleingruppen ermöglichen nicht einen Reflexionsprozess über die Gesellschaft als Ganzes. Dafür müssen ihre Kämpfe politisch kontextualisiert und vernetzt geführt werden. Vereinzelt sind diese Strukturen oft schwach und bergen die Gefahr der Selbstausbeutung. Isolierte Projekte können den ständigen Spagat zwischen Anpassungsdruck auf der einen, Vereinnahmungsversuchen auf der anderen Seite, ohne organisierte Solidarität, kaum bestehen. Deshalb müssen die einzelnen Kämpfe entlang ihrer Interessen geführt, zugleich aber in eine größere gesamtgesellschaftliche Strategie eingebunden sein. Nur wenn die Entfaltung einer größeren kollektiven Dynamik gelingt, besteht auch eine Chance, die Gefahr der Vereinzelung und Selbstausbeutung von Aktivist*innen zu minimieren.

These 5

Die alltäglichen Auseinandersetzungen können aber auch reaktionäre Deutungen und „Lösungsansätze“ fördern. Auch diese stellen eine Variante von sozialen Kämpfen dar. Rassistische, anti-feministische, nationalistische oder antisemitische Krisenlösungsstrategien können durch soziale Kämpfe an sich nicht verhindert werden. Durch das Einbringen von linken Positionen in soziale Auseinandersetzungen können jedoch Konfliktlinien aufgezeigt und die Funktionsweisen der kapitalistischen Gesellschaft vermittelt werden. Wenn der radikalen Linken das gelingt, kann die Suche nach den „Schuldigen“ für die alltäglichen Zumutungen nicht erfolgreich sein.
In Alltagskämpfen besteht somit die Möglichkeit, dass sich ein Bewusstsein über die eigene gesellschaftliche Position entwickelt. Zum Beispiel über das Geschlechterverhältnis oder Klassenbewusstsein. Da ein Bewusstsein der eigenen Lage in der (Re-)Produktion der Gesellschaft und die Erfahrung der eigenen Wirkmächtigkeit falschen und vor allem autoritären Krisenlösungsstrategien vorbauen kann, ist das Führen von sozialen Kämpfen aus linksradikaler Perspektive keine reine Feuerwehrpolitik, sondern existenziell für jedes emanzipatorische Projekt.

These 6

Der Staat wird nichts für uns machen. Er hat das Gewaltmonopol und ist so Voraussetzung und Garantie der gesellschaftlichen Herrschaft. Der Staat wird höchstens die Auseinandersetzungen regulieren und damit kleine Verbesserungen zulassen, um diese Gesellschaft zu sichern und zu schützen. Dabei beschränkt sich sein Gewaltmonopol nicht nur auf unmittelbare, direkte Gewalt sondern schließt z.B. auch seine ideologischen Apparate ein.
Daher sollten Kommunist*innen nichts für den Staat und seine Einrichtungen und Apparate fordern. Stattdessen sollten sie Dinge verlangen, die den in und aus den sozialen Kämpfen zu entwickelnden Selbstverwaltungs- und Organisierungsstrukturen dienen.

These 7

Häufig äußern sich Linke stolz darüber, den Sozialstaat erkämpft zu haben, appellieren an den Staat, diesen auszubauen und fokussieren ihre sozialen Kämpfe darauf. Natürlich sind wir froh über jeden Euro mehr, der an jene fließt, die darauf angewiesen sind, dennoch darf das nicht das Ziel unserer Kämpfe sein. Schon die Einführung des Sozialstaats war in erster Linie gegen die Selbstorganisation der Arbeiter*innen gerichtet, die bis dahin eigene Sozialkassen und ähnliches hatten. Noch heute dient der Sozialstaat dazu, die Staatsbürger*innen in die kapitalistische Verwertung zu integrieren und nationalistisch nach verwertbar und unnütz für die Nation zu sortieren. Erwerbslose und Lohnarbeitende werden getrennt, Klassen- und Kampfverhältnisse verrechtlicht und jede kollektive Dimension der gesellschaftlichen Konflikte unsichtbar gemacht. So werden die Kämpfenden vereinzelt. Zudem hält der Staat so eine industrielle Reservearmee für seine Nationalökonomie aufrecht, welche die Löhne niedrig hält.

These 8

Die radikale Linke bekommt die sozialen Kämpfe im Alltag oft gar nicht mit. Stattdessen macht sie – vielleicht gerade deswegen – vor allem Kampagnenpolitik. Nach einer frustigen Woche bietet sich das actionreiche Wochenende als Ausgleich an. Soziale Kämpfe werden so erst erkannt, wenn sie zum Spektakel beispielsweise als Demo mit medialer Aufmerksamkeit durchgestylt worden sind. Sie werden für große Teile der radikalen Linken erst dann sichtbar, wenn sie die ihnen aus ihrer Kampagnenpolitik bekannten Formen der bürgerlichen Politik angenommen haben: Dann ist es aber oftmals schon zu spät. Viele wichtige Auseinandersetzungen haben bereits stattgefunden bevor beispielsweise der DGB oder die Frauenbeauftragte begonnen haben, diese Kämpfe zu übernehmen, zu führen und zu kanalisieren. Im Auge immer das realpolitisch Machbare, werden die Kämpfe passend für den demokratischen Kompromiss geschliffen. So übersehen auch wir viel zu oft, dass die Kämpfenden schon vorher ansprechbar gewesen sind und potentielle Adressat*innen von Selbstorganisation und radikalen Inhalten waren.

These 9

Die Aufgabe der Kommunist*innen ist es, nicht nur von außen in die Kämpfe anderer zu intervenieren, sondern auch das eigene Leben als politisch zu begreifen. Wir müssen aktiv in den sozialen Kämpfen werden, die unsere unmittelbaren Lebensumstände und unserem Alltag bestimmen: Zum Beispiel in unseren Beziehungs-, Erziehungs-, Wohn- oder Lohnarbeitsverhältnissen. Wo diese Auseinandersetzungen nicht bewusst ablaufen, müssen wir sie aufdecken und als die gesellschaftlichen Kämpfe kenntlich machen, die sie eigentlich sind. Das kann dann die Grundlage werden, sich gemeinsam mit anderen in ihnen zu organisieren. Es ist dabei ebenso unsere Aufgabe, reaktionären Krisenlösungsstrategien im Alltag vorzubauen. Die Möglichkeiten hierfür reichen von aufklärenden und konfrontativen Gesprächen bis hin zum praktischen Zurückdrängen reaktionärer Akteur*innen.

These 10

Zusammenfassend gibt es für uns daher folgende Erfolgskriterien für emanzipatorische soziale Kämpfe:
• Eine Verbesserung der konkreten Situation der Kämpfenden.
• Die zu erkämpfenden Verbesserungen sind Teil von konkreten Vorformen einer kommunistischen Gesellschaft. Sie weisen über die bestehende Gesellschaft in Form und Inhalt hinaus.
• Diese erscheinen tendenziell schwer von Staat und Kapital reintegrierbar, so weit absehbar.
• Es gibt für die Kämpfenden eine Erkenntnis über die eigene Position im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang.

These 11

Als kommunistische Gruppe sind soziale Kämpfe für uns in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung:
• Als Genoss*innen bestärken und unterstützen wir uns gegenseitig in den jeweiligen Auseinandersetzungen, in denen wir uns befinden (siehe These 1).
• Als Gruppe möchten wir uns unterstützend an emanzipatorischen Kämpfen beteiligen. Wir haben Erfahrung mit gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Dazu haben wir eine Analyse, die helfen kann, die Kämpfe strategisch-nachhaltig zu führen, durch unseren Fokus auf die sozialen Verhältnisse, die die Konflikte erst hervorbringen. Beides bieten wir den Kämpfenden an.
• Als Kommunist*innen sind soziale Kämpfe für uns eine Chance, neue Genoss*innen zu gewinnen, in dem unsere Mitstreiter*innen erkennen, dass der Kommunismus in unser aller Interesse ist.
• Überhaupt lernen wir erst in den Kämpfen, wie kapitalistische Vergesellschaftung gegenwärtig konkret funktioniert und wie die systemimmanenten Widersprüche konkret verlaufen, indem wir uns damit auseinandersetzen, wie diese Kämpfe geführt werden und wo sie auftreten. Ohne soziale Kämpfe, kein korrekter Begriff der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Ohne diesen, kein Verständnis davon, wie es um den Kommunismus steht, als wirkliche Bewegung, die die gegenwärtigen Verhältnisse aufhebt.


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