Folgenden Redebeitrag haben wir am 23.05.2020 in Bremen auf der Kundgebung gegen den Corona-Kapitalismus und Verschwörungstheorien gehalten
Die Corona-Pandemie ist derzeit in aller Munde; glücklicherweise ist das bisher nicht allzu wörtlichzu nehmen. Dennoch prägen das Virus und die staatlichen Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie eingeführt wurden, derzeit unseren Alltag und unser Denken und Handeln. Sorgen und Ängste, nicht nur vor der Krankheit, sondern um unsere Zukunft kreisen um einen Begriff, der uns in den letzten Jahren ebenso vertraut wurde wie nun Corona und Covid: Die Krise ist wieder da und mit ihr eine Empörung, die sich kritisch denkt, es aber nicht ist. Die Krise war im Grunde auch nie weg. Die Krise, der permanente Ausnahmezustand war und ist schon immer unsere kapitalistische Gesellschaft gewesen.
Die staatlichen Maßnahmen die derzeit unseren Alltag beschränken, sollen dafür sorgen das die Kurve der Neuinfektionen abflacht. Sie sollen eine Überlastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie verhindern. Das es überhaupt zu dieser Überlastung kommt liegt nicht an Corona. Es ist menschengemacht. Es ist das Resultat der marktwirtschaftlichen Zurichtung des Gesundheitssystems durch die Politik in den letzten Jahrzehnten. Das ist eigentlich keine große Überraschung. Wovor die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen spätesten seit Einführung des Fallpauschalensystems schon immer gewarnt haben, wird durch die Pandemie nun besonders sichtbar: Für die Profitmaximierung wurde an Materialkapazitäten und vor allem aber am Personal gespart. Tausende die nun händeringend wieder gebraucht werden haben in den letzten Jahren den Beruf gewechselt. Viele leere Betten bleiben so unbelegt. Nicht, weil es nicht genügend Plätze in den Krankenhäusern gibt, sondern weil es am Pflegepersonal mangelt. Die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen versuchen dies seit vielen Jahren mit Mehrarbeit, trotz Niedriglohn, Dauerstress und Burnout, irgendwie auszugleichen.
Auch diese Krise ist also hausgemacht. Ihre Folgekosten werden jedoch vergesellschaftet.
Wenn wir zum Beispiel aufgefordert werden zuhause zu bleiben, aber gleichzeitig weiter zur Arbeit müssen. Der deutsche Wirtschaftsstandort soll, wie auch schon in der Finanzkrise 2009, gefälligst wettbewerbsfähig bleiben. Damit das auch so bleibt, wird versucht erneut die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Die Ausweitung der Kurzarbeit und die stark ansteigende Arbeitslosigkeit führen dazu, dass immer mehr Menschen davon bedroht sind ihren Lebensunterhalt und Miete nicht zahlen zu können. Massenhafte Mietschulden werden die Folge sein. Währenddessen erwirtschaften die Unternehmen aufgrund der niedrigen Lohnkosten weiter ihre Profite. Das Ansteckungsrisiko bei gleichzeitig schlechter Bezahlung für die Arbeitenden ist inklusive.
Die Krise, der Normalzustand im Kapitalismus für die Mehrheit der Menschen, spitzt sich in der Zeit des Corona-Kapitalismus besonders zu. Patriarchale, verharmlost sog. häusliche Gewalt befindet sich auf einem Höchststand.
Die rassistische Abschottungspolitik nach Innen und Außen, an den EU-Außengrenzen und in den Erstaufnahmelagern im Landesinneren, wird durch die Pandemie noch weiter verschärft.
In den Sammelunterkünften wie auch in Bremen in der Lindenstraße sind Geflüchtete einer weitaus größeren Gefahr einer Infektion ausgesetzt als der Rest der Bevölkerung. Das staatliche Ansinnen, Migration nach den Erfordernissen von Kapital und Nation zu steuern und deshalb Menschen in Lagern an den Grenzen einzuknasten, zeigt erneut sein wahres, mörderisches Gesicht.
Viele Menschen reagieren auf all das ideologisch. D.h. anstatt sich all diese Schweinereien und Zumutungen als das zu erklären was sie sind, nämlich gesellschaftlich von Menschen gemacht und damit veränderbar, kommen sie auf andere, falsche „Erklärungen“
So schön es wäre, wenn es sich bei den sog. Hygiene-Demos um die „richtige“ Unzufriedenheit handeln würde, die sich nur an die falsche Adresse richtet – leider ist dem nicht so. KonkreterWiderstand gegen die Aufweichung von Grundrechten und soziale Zumutungen, wie LeaveNoOneBehind, Pflegenotstand oder Besetzungen und Mietstreiks, ist gerade während der Pandemie nötig. Die Aufmärsche von Esoterikern, Faschisten und Frustrierten dagegen sind es nicht.
Wir sind der Meinung, dass es richtig und nötig ist sich gegen die massenhafte Aufhebung der Grundrechte zu stellen, gegen die autoritäre Bearbeitung der Corona-Krise durch den Staat zu Lasten der Lohnabhängigen, der Mehrheit der Menschen. Wir sind aber nicht der Meinung, dass der Staat, die Politik, all das macht, weil sie einen geheimen Plan verfolgt. Im Gegenteil, wir sind der Meinung, dass genau das das Wesen des bürgerlichen Staates ist, dass er immer so handelt, er immer so handeln muss als Staat des Kapitals. Und wir sind der Auffassung, dass, wer den Staat in seiner Kritik personalisiert, also für die ganzen Zumutungen dieser Gesellschaft einzelne Politikerinnen und Politiker verantwortlich macht, nur eine „gerechte Herrschaft“ durch „guteHerrscher“ einfordert. Die Vorstellung einer harmonischen Volksgemeinschaft, umtost von der stürmischen See eines globalen und gierigen Finanzkapitalismus war und ist schon immer ein rechter Mythos gewesen, der den Blick auf die wahre Spaltung der Gesellschaft als Klassengesellschaft verstellt. Mit dem Blick in die deutsche Geschichte wissen wir, inhaltlich ist hier der Weg zum Antisemitismus nicht weit.
Was es dagegen braucht sind solidarische, linke Alternativen gegen all die Zumutungen des Corona-Kapitalismus, Seuchenstaats und kapitalistischen Gesundheitssystems. Die Entziehung des Gesundheitssystems und der Altenpflege dem Markt durch Einführung einer Bedarfsorientierung, bei gleichzeitiger Selbstverwaltung der Krankenhäuser durch Teamdeligiertenstrukturen könnte hier ein erster, praktischer Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung von Staat und Kapital sein.
Es bleibt dabei: Das System ist gemein, nicht geheim. Klassenkampf statt Verschwörungstheorien!