Zusammen mit der Bremer Gruppe von Junge Linke haben wir am 3.2. eine Veranstaltung zum Thema „Willensfreiheit und Gesellschaftskritik“ durchgeführt. In Folge dokumentieren wir unser Thesenpapier für diese:
Wille.Bewusstsein.Gesellschaft.
DIE FEHLER DES LINKSHEGELIANISMUS, DIE MYSTIFIZIERUNG DER FETISCHKRITIK UND DIE RELATIVE AUTONOMIE IDEOLOGISCHEN BEWUSSTSEINS.

Der freie Wille…
Auch wenn unzählige sogenannte Wissenschaftler_innen das Gegenteil behaupten: Der Wille ist frei. Jedes Subjekt kann sich Zwecke setzen, sich zu ihrer Verfolgung bestimmter Mittel bedienen, eben Entscheidungen treffen auf der Basis von Erfahrung, Wissen und deren Reflexion. Die Behauptung des Gegenteils ist deshalb auch ihre eigene Widerlegung. Um das wissen zu können hätte vorher überhaupt eine zweckmäßige Untersuchung des Gegenstands stattfinden müssen. Diese Erkenntnis scheint zunächst banal, ist aber elementar für das Verständnis von bürgerlicher Gesellschaft überhaupt. Sie ist nämlich zugleich die Widerlegung aller Theorien die den Menschen durch ein wie auch immer bestimmtes Wechselspiel von „Anlage“ und „Umwelt“ determiniert wissen wollen, jeder (deterministischen) Psychologie und einigen anderem Unsinn den bürgerliche Wissenschaft in den letzten 150 Jahren so hervorgebracht hat.

… und das Bewusstsein des bürgerlichen Subjekts.
Der Wille ist also frei, und für einige Linke ist damit auch schon alles „arschklar“. „Lass es dir doch mal einleuchten“ hallt es dementsprechend regelmäßig durch die „Weserterassen“, wenn Leute mit den vielen Argumenten so partout nichts anzufangen wissen. Die Frage ist also: Taugt die Kategorie „Wille“ zur Beschreibung dessen, was gemeinhin als „Bewusstsein“ bezeichnet wird, zu dessen revolutionärer Veränderung die Linke einmal angetreten ist?
Karl Marx hat diese „kindlichen Phantasien“ einmal vortrefflich auf den Punkt gebracht:
„Rebellieren wir gegen die Herrschaft der Gedanken, lehren wir sie, diese Einbildungen mit Gedanken zu vertauschen, die dem Wesen des Menschen entsprechen, sagt der Eine, sich kritisch zu Ihnen verhalten, der Andere, sie sich aus dem Kopf zu schlagen, der Dritte, und – die bestehende Wirklichkeit wird zusammenbrechen.“ (Karl Marx – Die Deutsche Ideologie)
Ein solches Verständnis von Gesellschaft als bloßer Ansammlung freier Willen ist theoretisch wie praktisch fatal. Es negiert das wechselseitige Verhältnis von Ideologie und ihrer gesellschaftlichen Basis, verkennt so beispielsweise die grausamen Implikationen eines globalen Antisemitismus, kann sich nicht erklären warum „die Leute“ so merkwürdig resistent gegen das geprüfte Argument sind und reduziert politische Praxis auf – na was denn sonst – das Veröffentlichen von hässlichen Büchern – auf die Sache kommt es an! – und mehr oder weniger guten Flugblättern in denen die neusten Erkenntnisse aus München promotet werden.

Lack und Leder – oder: Was ist ‚notwendig‘ am falschen Bewusstsein?
Über die marxsche Fetischkritik, die im ersten Band des Kapitals entfaltet wird, ist viel geschrieben oder besser gesagt gedichtet worden, denn das meiste davon ist mit „grober Unfug“ am besten auf seinen Begriff gebracht. Die Fetischisierung, bzw. die verschiedenen Fetischformen (Waren-, Geld-, oder Staatsfetisch) taugen nämlich überhaupt nicht, um sich die theoretischen Fehlleistungen des bürgerlichen Subjekts zu erklären. Sie sind nämlich gar keine erkenntnistheoretischen Kategorien im engeren Sinne.
Marx meinte mit „Fetisch“ nämlich grade nicht ein, qua Warenwiderspruch, irgendwie „implantiertes“ Bewusstsein, sondern er beschrieb die, im Kapitalismus notwendige, Gedankenhaltung die das bürgerliche Subjekt einnehmen muss, möchte es das auch bleiben. Die Leute müssen sich nämlich tatsächlich als Warenbesitzer_innen aufeinander beziehen, und sind tatsächlich auf Geld als Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung verwiesen. Das den Subjekten dieses gesellschaftliche Verhältnis zu ihrer „zweiten Natur“ wird, das wäre zu erklären anstatt den Sachverhalt mit der Konstatierung einer wie auch immer gearteten Fetischisierung ad acta zu legen.

Fuck me I’m famous: Ideologien kollektiver Identität als projektive Selbstbestätigung
Auf den ersten Blick scheint damit also doch alles klar. Aber nur wenn mensch die Ideologie selbst ideologisch betrachtet und damit auf Oberfläche, auf dem gesellschaftlichen Schein, bürgerlicher Subjektivität kleben bleibt. Das vorkapitalistische Individuum bedurfte zunächst der Aufrichtung einer Herrschaft über sich selbst um den Widerspruch zwischen Citoyen und Bourgeoise in sich zu vereinen. Diese, tendenziell schizophrene, Vermittlung zwischen Partikularen und Gesamtinteresse geht in der Regel nicht krisenfrei vonstatten. Die Konfliktlagen des eigenen Staates treffen den/die Einzelne_n nämlich direkt und unvermittelt. Weil aber bürgerliche Subjektivität der Krisenfreiheit bedarf (um in der Konkurrenz zu bestehen), konstituiert sich das Bedürfnis nach krisenfreier Identität. Diese findet das Subjekt scheinbar in den Ideologien kollektiver Identität wie Kultur, „Rasse“, Nation. Sie leisten vor allem zwei Dinge: Die individuell erfahrene Ohnmacht im Alltag kapitalistischer Konkurrenz wird im Kollektiv zur scheinbaren Macht. Ihr meldet das Subjekt sich als anspruchsberechtigt und versucht diejenigen Dinge zu realisieren die der bürgerliche Staat nur formal einlösen kann. Im jeweiligen Kollektiv wird die Abstraktion von jedem Partikularinteresse zu einer heimeligen Gemeinschaft, in der das Subjekt, das hier als Teil des Kollektiv kein Partikularinteresse mehr kennt, Schutz vor den Konflikt – und Bedrohungslagen kapitalistischer Ökonomie sucht. Es zeigt sich: Ideologien kollektiver Identität folgen nicht nur einem rationalen Zweck, in ihnen scheint vielmehr immer auch ein Moment von Sehnsucht auf, die immer da Auftritt, wo subjektive Vorstellung auf kapitalistische Realität trifft.

… putting it all together
„Das die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich ein selbstständiges Reich in den Wolken fixiert ist nur aus der Selbstzerissenheit und und sich-selbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären.“ (Karl Marx – Thesen ad Feuerbach)
Was Karl Marx hier für die Religion beschreibt gilt für Ideologien kollektiver Identität gleichermaßen. Selbst wenn das Subjekt „weiß“, daß die Nation sein Schaden ist, der Lohn kein taugliches Mittel zur Bedürfnisbefriedigung und der Staat kein von Wölfen eingerichteter Menschheitsbeglückungsverein ist, so ist es doch immer wieder auf eine Realität verwiesen die jene Sehnsucht erzeugt. Und diese Sehnsucht lässt sich nicht einfach abschalten. Kommunistische, d.h die das schlechte Bestehende transzendierende, Praxis hätte genau diesen Widerspruch im Bewusstsein zu reflektieren anstatt ihn identitär zu vereindeutigen.
Autonome und auch die moderne Pop-Antifa haben da etwas begriffen, ohne es selbst wahrscheinlich wirklich verstanden zu haben. Sie bieten den Leuten eine alternative Gemeinschaft in der es sich leben lässt und in den 80er-Jahren wusste so mancher Autonome nicht, das es noch etwas außerhalb von Kreuzberg 36 gibt. Diese alternative Form identitärer Selbstbestätigung ist sicherlich angenehmer als die des Nationalismus – eine Lösung ist sie aber auch nicht.