Oder: wie sich die Jahre verändern, die Vorwürfe aber nicht.

Folgender Text ist in der aktuellen „La Rage“, einer linksradikalen Zeitung aus Bremen erschienen.

Ein Gespräch mit Tina von der Basisgruppe Antifaschismus als Antwort auf Hubert und Heinz in der letzten Ausgabe.

 

Das Interview führte: Martha.

Wir verwenden in dem Text den Gender-Gap (Unterstrich) um auf die Möglichkeit und Existenz von Identitäten außerhalb der angenommenen Zweigeschlechtlichkeit hinzuweisen. Wir machen uns aber nicht die Illusion damit Herrschaftsverhältnisse aufzulösen.

Martha: In einem Gespräch nach dem Erscheinen der letzten La Rage Ausgabe hast du mir erzählt, du wärst ziemlich sauer. Warum?

Tina: Tja, ehrlich gesagt finde ich einige Vorwürfe in ihr ziemlich seltsam. Vor allem, weil dabei ein Bild von uns gezeichnet wird in dem wir offensichtlich diejenigen sind, die nur noch (verhältnismäßig) schlaue Texte schreiben, den anderen die Welt erklären wollen und sowieso keine Lust bzw. Energie darauf verwenden die Verhältnisse zu verändern. Mal abgesehen davon, dass wir keinen Gegensatz in der Kritik und der praktischen Überwindung der Verhältnisse sehen. Auch wenn wir in dem Text nicht direkt erwähnt werden gehe ich davon aus, dass er auf den Aufruf von …umsGanze! und uns bezogen ist.

Martha: Wie meinst du das denn jetzt genau? Ich hatte den Eindruck da setzen sich Leute schon differenziert mit dem Aufruf und auch den Problemen im Vorbereitungskreis auseinander.

Tina: Ich würde sagen, es gibt da mindestens drei Vorwürfe die mich sauer machen. 1. wir würden keine Öffentlichkeit erreichen wollen, da wir davon ausgehen das nicht-Linke sowieso nicht für unsere Sache erreichbar wären. 2. wir würden ein „hermetisch dogmatisches“ Denkgebäude bauen, das keinen Raum für Widersprüche und Bündnisse zulässt. 3. wir hätten die Veränderung der gesellschaftlichen Gesamtscheiße aus den Augen verloren oder unsere Analyse ergebe, dass eh bereits alles „verloren“ sei.

Ich werde mal versuchen auf diese Sachen zu antworten.

Heinz fängt damit an, dass er feststellt wir hätten keine Bezüge auf soziale Bewegungen in unserem Aufruf. Stimmt. Wenn er aber meint die „Demo war von Anfang an selbstbezüglich, wie eine private Party im öffentlichen Raum“, dann klingt das als wenn wir uns grundsätzlich nicht auf Bewegungen positiv beziehen und außerdem auch keine Bündnispartner_innen gewinnen wollen würden.
Tatsächlich haben wir hier keine Bezüge zu anderen sozialen Bewegungen hergestellt. Warum auch? Es ging um ein politisches Ereignis bei dem der Fokus eben auf der Kritik der Funktion der Nation lag. Also dem Abfeiern dieses Zwangskollektives.

Hubert hat Recht das mit Sicherheit viele Menschen eine Kritik an Deutschland haben, diese findet sich bei den Jusos genauso wie bei der DKP. Entscheidend ist aber, dass diese damit meinen, dass sogenannte Gemeinwohl (identifiziert mit der Nation: Sozialstaat etc… ) werde von „den Herrschenden“ nicht richtig vertreten. Während wir dagegen setzen, die Nation in ihrer ideologischen Funktion (in der Regel mit „dem Staat“ gleichgesetzt) sei bereits ein Grund, der die Leute dazu bringt, eben nicht im Klassenkampf zu revoltieren. Das ist ein Unterschied ums Ganze.

Ob ich nämlich der Nation vorwerfe, dass sie gerade nicht richtig vertreten wird oder ob ich die Nation als Ganzes ablehne, ist ein entscheidender Unterschied. Machen wir uns keine Illusionen: Dafür finden wir aber selbst in der radikalen Linken, abseits von oftmals substanzlos gerufenen „Nie wieder Deutschland“ Parolen, nicht viele Fürsprecher_innen. Dieser Fokus auf die „Nation“ ergab sich für einen Teil der radikalen Linken nach der so genannten Wiedervereinigung und den Pogromen Anfang der 1990er Jahre. Die radikale Linke musste feststellen, dass sich von MLPD bis CDU alle einig waren: Deutschland müsse gegen die angebliche „Asylantenflut“ verteidigt werden. Andere so genannte Linke vertraten die Parole „Ausländer sind die falsche Adresse – Haut den Bonzen in die Fresse“. Die Menschen würden angeblich aus den richtigen Gründen das falsche Tun. Rebellieren – nur gegen die falschen Adressat_innen. Als wenn es nicht ernst zu nehmen wäre, wenn Menschen angegriffen werden.

In dem Moment, als sich Leute selbst organisierten und gegen die Asylbewerber_innenheime loszogen, argumentierten sie auch wieder mit dem Allgemeinwohl bzw. dem Bundeshaushalt: Für Deutschland – gegen die Asylbewerber_innen. Als dann in Folge das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde, kamen die Lichterketten und das ganze Geschwafel von Toleranz. Was blieb ist der Rassismus – im Namen von Deutschland. Seitdem streiten sich Jahr für Jahr alle aufs Neue über die Anspruchsberechtigung auf den Finanzhaushalt der BRD – und wer davon nichts abbekommt. Hartz IV, spätrömische Dekadenz, Sarrazin; um nur einige Stichworte der letzten Jahre zu nennen. Heute können Menschen auch für Deutschland und gegen Nazis sein. Die Frage ist jetzt, was ist die Konsequenz daraus? Für uns: Die Absage an Staat, Nation und Kapital. Für konkrete Auseinandersetzungen gilt deshalb mindestens, dass jeder Form, ob implizit oder explizit, des Standortnationalismus eine Absage erteilt werden muss.

Das Problem ist also, aus verschiedensten Gründen können Leute etwas gegen die gegenwärtigen Zustände in der BRD haben. Wir allerdings haben was gegen die BRD.

Trotz allem stimmt es das wir kaum Flyer um die Demo herum verteilten. Dies lag allerdings an einem organisatorischen Fehler, nicht daran das wir es nicht inhaltlich wollten. Betonen möchte ich allerdings nochmal: Es ging um eine grundsätzliche Absage an den Standort Deutschland und den ganzen Unsinn der Nation. Leute die sich davon im Jahre 2011 überzeugen lassen, gibt es leider wenige. Dies lässt sich auch daran illustrieren, das sich am Tag der Demo selbst die TAZ in einem Kommentar von ihr distanzierte indem sie sich darüber empörte, das es an der Uni noch Profs gäbe, die antinationale Positionen verträten. So kam eine „Wir gegen Euch“ Demo dabei raus.

Martha: In der autonomen Linken wird der Vorwurf des „Dogmatismus“ ja häufiger laut. Wie würdest du denn „Dogmatismus“ von einem notwendigen Streit um die richtige Kritik abgrenzen?

Tina: Ein Entstehungsgrund der autonomen Linken war ja die notwendige und richtige(!) Abgrenzung von den „marxistisch-leninistischen“ K-Gruppen. Während für die MLer_innen die Gesellschaftskritik immer nur etwas mit materiellen Strukturen zu tun hat, war es der Verdienst der autonomen Gesellschaftskritik, anknüpfend an die anti-autoritären Strömungen des SDS rund um „1968“,  herauszuarbeiten, dass die gesellschaftliche Zustände immer auch mit dem Individuum selber zu tun haben. Oder konkret: ich bin ja auch immer „Kind“ meiner Verhältnisse. Und um in ihnen zu überleben ohne an ihnen ganz daran verrückt zu werden, mache ich mir eben einige beschissene Ideologien zu Eigen und verinnerliche sie so.

Es ging ihnen deshalb darum, dass Befreiung und Emanzipation auch bei uns selbst beginnen müsse.

Ich würde heute sagen, beides ist richtig und notwendig. Einerseits wirken gesellschaftliche, materielle Verhältnisse auf uns, die wir nicht individuell aufheben können, gleichzeitig hat das auch immer eine Wirkung auf uns. Wir müssen uns ja auch auf der psychischen Ebene mit den Schädigungen durch die Lohnarbeit rumschlagen, unsere psychische und physische Regeneration in sozialen Beziehungen organisieren und vieles andere.  Zum Dogma wird die Gesellschaftsanalyse, wenn wir unsere Eingebundenheit in all diese Verhältnisse bestreiten oder uns bereits als auf der „anderen Seite“, jenseits der sozialen Totalität stehend, verorten.

Worauf ich hinaus möchte bei alledem: Wir halten es für zentral uns darüber zu verständigen, wie wir die gesellschaftlichen Verhältnisse analysieren, beschreiben und begreifen können. Nicht weils so ein schönes Hobby ist, sondern mit dem Zweck daraus Schlüsse ziehen zu können, wie sich am besten strategisch und taktisch gegen diese vorgehen lässt.

Das berührt in der Konsequenz auch Fragen, warum zum Beispiel wenig Leute noch eine gemeinsame WG-Kasse haben oder wenig in Kollektivbetrieben gearbeitet wird, wie Heinz richtig feststellt. Schon heute müssten wir alle selbstbestimmt, frei und möglichst sozialkompetent (Lohn)Arbeiten gehen. Der Versuch auf diese Art und Weise unsere gesellschaftliche Entfremdung von unseren Arbeitsprodukten aufzuheben funktioniert aber nicht nur nicht. Auch auf der Erscheinungsebene der Gesellschaft hat sich seit den 70er Jahren, als diese Variante der Kritik erstmals massenwirksam in der radikalen Linke wurde, vieles verändert.  Der gesellschaftliche Anteil derjenigen, die Eigentümer_innen ihrer Produktionsmittel sind hat sich deutlich erhöht. Beispielhaft hier für sind freie Autor_innen die mit ihrem Macbook im Cafe sitzen und prekär beschäftigt sind, jedoch vollkommen im Besitz ihrer Produktionsmittel sind: Ihres Körpers und ihres Mac. Wenn dies also (weitere Beispiele könnten folgen) Ausdruck der kapitalistischen Produktion im Jahre 2011 ist, dann wäre doch hier die Gegenfrage an Heinz nötig, wohin wir mit der Forderung nach „selbstbestimmten Arbeiten“ überhaupt noch kommen?! Wir können keinen großen emanzipatorischen Gehalt dessen erkennen und halten dies Leuten entgegen, die seit 20 Jahren mit der selben Forderung auflaufen ohne sich aber erklären zu können, warum das als politische Strategie nicht funktioniert.

Wenn wir also darum streiten wollen wie die Verhältnisse richtig zu analysieren sind, dann unterscheidet uns von den MLer_innen, dass wir Kontroversen zulassen, uns in die Debatte begeben und sich so evtl auch unsere Analyse verändert. Uns ist klar, dass dies im Rahmen von Bündnissen vielleicht nicht immer deutlich wird, weil es dort auch immer um taktische Fragen geht. Wenn es dort in Folge zu einer starke Polarisierung kommt, dann wohl auch deshalb weil die gemeinsame, kontroverse Debatte eben keine leichte ist. Wenn wir auf Bündnissen den Eindruck erwecken wir wären so „dogmatisch“ in unseren Positionen, dann vielleicht weil wir auch viel in unserer Gruppe darüber verhandeln, streiten und diskutieren. Aber nicht weil wir denken, wir würden uns nie irren.

Den „Masterplan zur Revolution“ haben wir übrigens auch nicht. Nicht durch Zufall geriet das Motto der Demo am 2. Oktober auch so defensiv: „Kein Tag für die Nation – Kein Tag für Deutschland“.

 

Martha: Tja, und jetzt: Wollt ihr wirklich nichts mehr gesellschaftlich verändern?

Tina: Ich denke es gibt eine Ausdifferenzierung in der Szene. Für einige ist ihre Theoriearbeit bereits ihre Praxis. Für andere ist eine Welt nach der Revolution nicht vorstellbar, für noch andere zählt die Aktion mehr als ihre theoretische Kontextualisierung.

Wenn wir uns mit Theorie beschäftigen, geht es uns immer darum die Schlüsse die wir ihr aus ihr ziehen auch zu versuchen praktisch einzulösen. Schließlich meinen wir das mit dem Kommunismus ja ernst. Nur wie wir das jetzt ganz konkret und am liebsten morgen bewerkstelligen sollen, dass wissen wir auch noch nicht so richtig. Das kritisiert Hubert ganz zu Recht.

Tja, diesen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzulösen, daran werden wir auch weiter arbeiten. Klingt hilflos? Ist es ein bisschen auch.

Martha: Danke für das Gespräch.

Tina: Bitteschön. Für den Kommunismus!