Veröffentlicht in mole – …ums Ganze! Magazin #3

Eine Perspektive auf materialistischen Feminismus.

Die Basisgruppe Antifaschismus aus Bremen legt in diesem einführenden Text knapp dar, was materialistischer Feminismus für sie bedeutet. Als Analysemethode der Gesellschaft ist dieser das vielleicht wichtigste Instrument unseres politischen Handelns, welches die immer noch akute Unterdrückung der Frau* aufzudecken weiß.

»Es ist eindeutig, dass der Kapitalismus zur Überausbeutung der Frauen geführt hat. Das wäre wenig tröstlich, wenn es nur vermehrtes Elend und vermehrte Unterdrückung bedeutet hätte, doch glücklicherweise hat es auch zu Widerstand geführt. Und dem Kapitalismus ist bewusst geworden, dass dieser Widerstand, wenn er ihn vollständig ignoriert oder unterdrückt, zunehmend radikaler werden könnte, um schließlich zu einer Bewegung für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, vielleicht sogar zum Keim einer neuen Gesellschaftsordnung zu werden« (Robert Biel, The New Imperalism, 2000).

Materialistischer Feminismus hat den Anspruch die gesellschaftlichen Begebenheiten theoretisch, sowie eine praktische emanzipatorische Perspektive der Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Konkret heißt das, dass der materialistische Feminismus eine Methode zur Analyse von Gesellschaft bzw. Herrschaftsverhältnissen ist, welche auf einer ökonomischen Ebene die Verbindung zwischen Patriarchat und kapitalistischer Ausbeutung aufdeckt.

Historisch betrachtet war die proletarische Frauenbewegung bemüht, den komplexen Zusammenhang von Patriarchat und Kapitalismus zu erfassen (in Deutschland war die zentrale Figur Clara Zetkin 1857-1933). Innerhalb dieser Bewegung gab es noch keine wirklichen Bestrebungen die Emanzipation der Frauen* von dem sogenannten Hauptwiderspruch, also der kapitalistischen Ausbeutung des Arbeiters, zu trennen. Die Versuche und das Bestreben nach feministischer Theoriebildung wurden von der kommunistischen Bewegung aufgeschoben, indem sie auf das Einlösen nach der proletarischen Revolution verwies. Festzustellen ist dabei, dass das Patriarchat als Herrschaftsform verstanden, aber die Bekämpfung dessen, dem Klassenkampf untergeordnet wurde. Sozialistische Feministinnen wie Helke Sander im Sozialistischen Deutschen Stundenbund SDS in der BRD oder innerhalb der autonomen Frauen*bewegung in Italien äußerten Kritik an marxistischen Theorien und problematisierten, dass die Frage der Unterdrückung von Frauen* oft als ideologisches Problem dargestellt wurde. Demnach scheint die Frauenunterdrückung ein Überbleibsel kapitalistischer Gesellschaft zu sein und äußert sich vor allem in der Familie. Das Patriarchat erschien so nur als falsches Bewusstsein ohne ihm entsprechende gesellschaftliche und materielle Strukturen. Da zeitgleich der Klassenkampf fälschlicherweise nur als eine Erscheinung der Produktionssphäre gedeutet wurde, erschien das Geschlechterverhältnis so nur als »Nebenwiderspruch«. Das hatte zur Folge, dass die ökonomische oder auch materielle Seite des Geschlechterverhältnisses in linken Theorien nicht systematisch mitgedacht wurde.

Dass das nicht so bleiben soll, dachten sich aktuelle feministische Theoretiker*innen wie z.B. Silvia Federici, Frigga Haug, Tove Soiland und viele mehr, und haben ihren Feminismus mit einer materialistischen Analyse verbunden. Dabei wird von einem patriarchalen Verhältnis ausgegangen, um die geschlechtsspezifischen Herrschafts- sowie Dominanzverhältnisse analysieren zu können. Demnach basiert das Patriarchat auf geschlechtlicher Teilung der Reproduktion und Produktion. Diese Teilung wurde gesellschaftlich hergestellt. Zu der Trennung Reproduktion und Produktion sind jeweils stereotypische Geschlechtscharaktere zugeordnet, die jeweils als Frau* oder Mann* sortiert werden. Die Geschlechtscharaktere verlangen bestimmte Eigenschaften und verweisen auf eine bestimmte Sphärentrennung hin, wie z.B. Frauen seien emotional, passiv und irrational, während Männer aktiv, stark und rational wären. Somit sind Frauen* nach dieser Logik wie gemacht für Reproduktionsarbeiten. Zudem beinhaltet diese Festlegung der Geschlechtscharaktere für Frauen* die Aufgabe für den Staat Kinder zu gebären. Die Debatten um Bevölkerungspolitiken verdeutlichen, dass Frauen* fast ausschließlich Mütter seien, und somit ihren Beitrag zum Erhalt dieser Gesellschaft leisten sollen.

Die Trennung von Reproduktions- und Produktionsarbeit hat zwar in den vergangenen Jahren eine gesellschaftliche Veränderung erfahren. Trotzdem sind es immer noch Frauen*, die maßgeblich für Haus- und Erziehungsarbeiten zuständig, als auch in entlohnter Reproduktionsarbeit präsent sind. Letzteres jedoch in deutlichen geringeren Lohnverhältnissen. Die in der BRD seit den 1970ern erkämpfte Integration von Frauen* in den Arbeitsmarkt stellt zwar die Vorstellung eines männlichen »Ernährers« in Frage, faktisch sind Frauen* den Männern* aber immer noch strukturell ökonomisch unterstellt und so im realen Familien- und Ehemodell von ihnen abhängig. Historisch betrachtet unterlag die konkrete Ausgestaltung der Kapitalakkumulation und der mit ihr zusammenhängenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung immer Veränderungen. In der Zeit des Fordismus wurden Frauen* (konkret gemeint sind hier alle, die sich mit Männern in einem eheähnlichen Verhältnis befanden) indirekt vom männlichen Ernährerlohn mitfinanziert. Zumindest galt dies für in bürgerlichen Kleinfamilien und heterosexuellen Zweierbeziehungen lebende Frauen. Frauen* leisteten gleichzeitig schon immer vor allem prekäre Lohnarbeiten. Dieses Abhängigkeitsverhältnis gestaltete und gestaltet sich nicht nur als rein ökonomisches, sondern auch als ein ideologisch-verinnerlichtes. Es lud die Verantwortung für das Funktionieren dieser Beziehungen auf den Schultern der Frauen* ab und belastet(e) sie doppelt. Die folgenden Veränderungen hingegen bedeuten, dass im Globalen Westen immer mehr Frauen* Lohnarbeiten gehen müssen. Dies bringt (zwar) eine finanzielle Unabhängigkeit (im Gegensatz zum Ein-Familien-Ernährer-Modell) mit sich, aber gleichzeitig ist mit dem stattfindenden Rückbau des Sozialstaates den Frauen* erneut die privatisierte Haus- und
Reproduktionsarbeit und damit die immer schon bestehende Doppelbelastung aufgeladen. Nach wie vor ist die heterosexuelle Familie und Ehe für den Staat ein wichtiges Unterfangen. Denn durch die rechtliche Verankerung sowie Förderung, werden Menschen verpflichtet für einander da zu sein.

Da das Privateigentum in einer kapitalistischen Gesellschaft ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen ist, verbleiben immer die im Vorteil, die auch ökonomisch im Vorteil sind. Diese zunächst materielle Abhängigkeit ist jedoch auf mehreren Ebenen wirkungsmächtig. Dort wo Frauen* Männern* materiell unterstellt sind, verbleibt ihr Handlungsspielraum im Beziehungs- und Familienleben auch immer eingeschränkt. Daher ist davon auszugehen, dass ein notwendiges wechselseitiges Verhältnis zwischen Patriarchat und Kapitalismus besteht.

Unseres Erachtens nach hat sich aus der Verbindung zwischen Patriarchat und Kapitalismus die Ideologie des Heterosexismus entwickelt. Heterosexismus ist ein Denken, in dem nur zwei mit gegensätzlichen Eigenschaften ausgestattete Geschlechter, nämlich der Mann und die Frau, existieren und deren sexuelles Begehren sich aufeinander bezieht. Sexualität wird anhand dieser heterosexistischen Denkweise bewertet, was für Menschen, die sich nicht innerhalb der herrschenden Vorstellungen von heterosexistischer Zweigeschlechtlichkeit verorten können oder wollen, immer ein »Anders-sein« mit sich bringt.

Eine materialistisch feministische Gesellschaftskritik sollte objektiv aufzeigen, dass diese Verhältnisse schädlich für alle sind, und dass eine Gesellschaft anzustreben ist, in der Bedürfnisse der Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion sind. Denn dies sind Bedingungen für ein gutes Leben für Alle.


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