Am 26. April startet um 15 Uhr ab Goetheplatz eine Demonstration mit dem Titel:
Solidarisch gegen Rassismus. Kein Frieden mit der deutschen Normalität.
Wir rufen zur Teilnahme an der Demonstration auf und dokumentieren in Folge solidarisch den Aufruf der Antifaschistischen Gruppe Bremen:
Inhaltsverzeichnis
Solidarisch gegen Rassismus
Kein Frieden mit der deutschen Normalität
Vor nunmehr zweieinhalb Jahren flog der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) auf – nachdem zwei der Mitglieder ihr Versteck in Brand setzten und sich erschossen. Das Entsetzten über eine in der BRD agierende militante Nazi-Gruppe war zunächst groß.
Die Empörung über das gesamte Ausmaß der rassistischen Mordserie blieb jedoch genauso aus, wie der Moment der Wut auf eine Gesellschaft, in der Behörden und die ermittelnden Staatsdiener *Innen¹ eine mörderische Organisation wie den NSU über Jahre hinweg als nicht möglich betrachteten. Rassistische Motive wurden bei den Ermittlungen von vornherein ausgeschlossen. Statt dessen wurde sich bei der Tätersuche auf das Opferumfeld konzentriert und dabei aufgrund einer nicht deutschen Herkunft der Opfer, jedes mal ein angeblich krimineller Hintergrund konstruiert. Gab es in den ersten Monaten noch eine kontinuierliche Berichterstattung, interessiert sich heute die Öffentlichkeit nach über achtzig Prozesstagen gegen den NSU scheinbar wenig für den Stand der Ermittlungen. Genauso wenig wurde und wird thematisiert, dass es Rassismus ist, der die Motive für solche Taten liefert und es keine Gruppe im Untergrund geben kann, die nicht auf Helfer*Innen in der Gesellschaft angewiesen ist, die ihre Ideen mit tragen und mit diesen einverstanden sind.
Berichte in den Medien reduzieren den NSU mittlerweile zunehmend auf eine einzige Person: Beate Zschäpe. Dass sich eine Organisation wie der NSU auf weit über 150 mittlerweile bekannter Unterstützer*Innen verlassen konnte, dass die Mitglieder sich teils gar nicht im Untergrund befanden, sondern ein scheinbar „normales“ Leben führen konnten, findet kaum noch Erwähnung. Die Reduzierung des NSU auf Beate Zschäpe verschleiert das Ausmaß der vorhandenen Strukturen, auf die die Gruppe zurückgreifen konnte. Sie verschleiert den Blick auf die gesellschaftlichen Zustände, die den NSU hervorgebracht haben, auf eine Gesellschaft in der „racial profiling“ und Abschiebungen staatliche Praxis sind und in der rassistische Vorfälle eine erschreckende Alltäglichkeit haben.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Die deutsche Gesellschaft bleibt eine Gesellschaft, aus der eine gezielt mordende Neonazigruppe nicht überraschend oder aus dem Nichts auftaucht. In den Nachwendejahren war Deutschland von einer massiven neonazistischen Straßenmobilisierung geprägt, dessen Nachwirkungen sich in einigen Gebieten bis heute zeigen. In den Brandanschlägen und Pogromen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mannheim, Solingen, Mölln und weiteren Städten fand die rassistische Hetze einen traurigen Höhepunkt. Die Neonazis konnten sich dem Rückhalt und der aktiven Unterstützung großer Teile der deutschen Bevölkerung sicher sein. Diese unterschwellig vorhandenen bis offen zur Schau gestellten rassistischen Einstellungen verstärkten die Wahrnehmung der Neonazis, in der sie sich als legitimer Vollstrecker eines Volkswillens sehen.
Staatliche Anerkennung fand der rassistische Grundkonsens in der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durch die CDU/CSU und FDP Regierung mit Unterstützung der SPD.
Parallel zu dem “Aufstand der Anständigen“, ausgerufen nach dem Regierungswechsel 2000, fingen die damals bereits in den Untergrund abgetauchten Mitglieder des NSU damit an, gezielt Menschen zu ermorden. Dabei konnte der NSU sich auf ein Unterstützer*Innenumfeld verlassen, welches sich aus Personen lokaler Kameradschaftsszenen sowie aus dem „Blood and Honour“- Netzwerk zusammensetzte. Also genau dem politischen Spektrum, welches bekanntermaßen mit den Konzepten des „leaderless resistance“² liebäugelte bzw. diese offen propagierte. Gleichzeitig kam es zu einem weiteren Anstieg massiver, oft tödlicher Gewalttaten gegen Menschen die nicht in das Weltbild der Neonazis passen.
Dabei sind Brandanschläge oder Morde, wie sie der NSU und auch sogenannte „Einzeltäter“ verübten, als mörderischer Teil des rassistischen Zustandes der deutschen Gesellschaft anzusehen.
Die deutsche Gesellschaft ist eine postnazistische, welche samt Staat und ihren Institutionen aus einer Gesellschaft hervorging, die sich ganz den Ideen einer rassischen Überlegenheit und einem antisemitischen Wahn verschrieb, der in der industriellen Massenvernichtung von Menschen gipfelte.
Die Geschichte der deutschen Behörden ist noch nicht annähernd aufgearbeitet. Nachweislich sind Institutionen der Bundesrepublik durch personelle und rechtliche Kontinuitäten geprägt. Ein wirklicher Bruch mit alten NS-Funktionären und dem deutschen Nationalsozialismus fand nie statt. In den Aufbau der Nachrichtendienste, des Polizeiapparates, der Justiz, der Ministerien und Ämter der Bundesrepublik wurden Nazis eingebunden und prägten somit die deutsche Nachkriegsgesellschaft.
Die deutschen Geheimdienste sind an dieser Stelle eines der bekanntesten Beispiele. Für den Verfassungsschutz z.B. standen die Feinde dabei immer links. Diese historische Kontinuität von den Nachkriegsjahren über den kalten Krieg dauert bis heute an. Nicht nur durch den NSU-Prozess tauchen immer mehr Anzeichen dafür auf, dass sich die personelle Kontinuität der Anfangsjahre in eine ideologische Kontinuität in den Sicherheitsbehörden verwandelt hat, die dazu führt, dass sich Geheimdienste und Polizei immer wieder auf dem rechten Auge blind zeigen.
Festung Europa hinter dem Jägerzaun
Rassismus finden wir tagtäglich auf vielen verschiedenen Ebenen. Rassismus äußert sich dabei nicht nur in physischer Gewalt gegen Menschen. Rassistisch sind auch alltägliche Handlungen in Form eines bestimmten Sprachgebrauchs, also der Verwendung bestimmter Begriffe und Wörter oder auch Verhaltensweisen und die diskriminierende Gesetzgebung der Asylpolitik der BRD, sowie in den Medien und im Bildungssystem präsente Stereotype.
Das Flüchtlingsdrama von Lampedusa im Oktober 2013, bei dem mehr als 350 Menschen ums Leben kamen, schockierte. Dabei sind schreckliche Geschehnisse wie dieses keineswegs die Ausnahme – jeden Tag sterben Menschen an den von der Europäischen Gemeinschaftsagentur Frontex abgeschotteten Außengrenzen Europas. Immer wieder finden sich in den Medien Meldungen darüber, dass wieder Menschen ertranken.
Während angesichts der ungezählten Toten im Mittelmeer vermeintlich überlegene moralische Ideale der „europäischen Verantwortung“ gepredigt werden und der Bundespräsident zu mehr Offenheit und Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtenden mahnt, bleibt die menschenverachtende Praxis der Abwehr an den Außengrenzen Europas weiterhin bestehen.
Ist es allein die Verwertbarkeit nach kapitalistischen Maßstab, die darüber entscheidet ob ein Mensch innerhalb der europäischen Gemeinschaft leben darf? Oder gilt tatsächlich eine Art Flüchtlingshierarchie, in der „richtige“ Geflüchtete von angeblichen „Wirtschaftsflüchtlingen“ unterschieden werden? Die Berichte der Geflüchteten, lassen sich an letzter Stelle auf lediglich ein Wort herunter brechen, mit dem sich der deutsche Zustand beschreiben lässt: Willkür. Willkür, die sich auf Recht und Gesetz berufen kann – nur scheinbar ein Widerspruch.
Vorrangiges Ziel der deutschen Flüchtlingspolitik ist vor allem Abschreckung. Diese wird auch dadurch erreicht, dass die Geflüchteten möglichst lange in einem unsicheren Status gehalten werden. Somit sind die oftmals willkürlich erscheinenden Entscheidungen der deutschen Ausländerbehörden ein durchaus gewünschtes Ergebnis der sogenannten „Ermessensspielräume“ im Aufenthaltsrecht.
Dem Protest von Geflüchteten gegen die unmenschliche Praxis der Ausländerbehörden und einem Eintreten für ein universelles Bleiberecht für alle Menschen, begegnet die deutsche Politik mit menschenverachtender Ignoranz und einer Kriminalisierung der Proteste – oftmals gefolgt von massiver Repression gegen die Aktivist*Innen.
So erklärt auch der ehemalige Bundesinnenminister Friedrich in gewohnt rassistischer und populistischer Manier: „Wenn jemand in ein anderes Land kommt um sich dort in die soziale-Hängematte zu legen, dann hört der Spaß auf und das ist leider eine nicht unbeträchtliche Zahl, die hierher kommt um abzusahnen….“. Egal ob solche Aussagen aus politischer Berechnung oder aus tiefer ideologischer Überzeugung getätigt werden, sie bedienen und verstärken immer vorhandene Vorurteile und Ressentiments.
Auch in Bremen werden Geflüchtete oftmals als Bedrohung empfunden. Bürger*Innen, die meinen, dass ihre „Lebensqualität gemindert“, oder die „ Angst haben, dass ihre Grundstücke entwertet würden“ und die sich deshalb in Bürgerinitiativen zusammenfinden zeigen, dass sie ihren durchaus privilegierten Status erkannt haben, diesen unangetastet wissen wollen, und deshalb in sozial-chauvinistischer Manier nach unten treten. Dass es auch durchaus solidarisches Verhalten mit Geflüchteten gab und gibt, soll nicht verschwiegen werden, genauso so wenig wie die Tatsache, dass es sich hierbei leider um eine Minderheitenposition handelt.
Auch versteckt rassistische Stereotype werden immer wieder bedient, wenn z.B. behauptet wird, dass die „Kultur“ der Geflüchteten nicht zu „unserer“ passe. Kultur ist damit nur ein Sprachversteck für Rassismen.
Diese menschenfeindliche Betrachtungsweise ist es, die Abschiebungen gesellschaftlich legitimiert, rechtspopulistischen Entwicklungen Vorschub leistet und die zu fehlender Empathie angesichts von Katastrophen, wie sie sich im Mittelmeer abspielen, führt.
Fehlende Empathie und eine rassistische Polizeipraxis, die der Brechmittelvergabe, waren es auch, die zum Tod von Laye Alama Condé im Jahr 2005 führten. Trotz mehrerer Verfahren vor dem Bremer Landesgericht wurde bis heute kein Täter für den Tod von Laye Alama Condé zur Rechenschaft gezogen. Dies zeigt in aller Deutlichkeit wie wichtig die Arbeit unabhängiger Initiativen ist, die mit ihrer Tätigkeit Verantwortliche benennen und Druck auf die Behörden ausüben. Es zeigt wie wichtig es ist, sich gegen die in der Gesellschaft herrschende Gleichgültigkeit, gegenüber einem herrschenden rassistischen Normalzustand zu wehren.
Deutsche Parallelgesellschaft- Gartenzwerge und Hakenkreuz
Diesen beschissenen deutschen Zuständen entsprechend, gibt es auch in Bremen und um zu eine durchaus aktive, organisierte Rechte- bzw. Neonazi-Szene. Parteien wie „Bürger in Wut“ oder „die Rechte“ oder auch die „AfD“ versuchen mit ihrer Politik genau an die menschenfeindlichen und ausgrenzenden Parolen anzuknüpfen, wie sie z.B. in den Beiratsversammlungen in Bremen Nord von anwesenden Bürger*Innen und Vertretern*Innen verschiedener Parteien geäußert wurden. So versuchen die Neonazis sich als als wahre VertreterInnen und SchützerInnen eines angeblichen „deutschen Anliegens“ zu präsentieren.
Neben solchen Bestrebungen versuchen Rechtsrock-Bands wie in Bremen u.a die Gruppen „Endstufe“, „Bunker 16“ und „Kategorie C“ einen rechten Lifestyle zu etablieren. Mit einer Mischung aus Gewalt, Männlichkeit und Sozialdarwinismus versuchen Neonazis, wie z.B. Hendrik Ostendorf, Jugendliche für ihre menschenverachtende Ideologie zu begeistern. Zusätzlich hat sich auch in Bremen eine Mischszene, bestehend aus rechten Hooligans, Personen aus dem Rockermilieu und der Neonaziszene gebildet. Diese betreiben, um ihre Geschäfte nicht zu schädigen, selten offen neonazistische Politik, bleiben aber dennoch einem rechten Lifestyle verhaftet. Um diesen Lifestyle auszuleben, können sie in Bremen auf bestehende Strukturen und konkrete Örtlichkeiten zugreifen. Aus diesen Rückzugsräumen, wie z.B. der Kneipe „Bells“ an der Bremer Discomeile, kommt es immer wieder zu Angriffen auf Menschen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen.
Konsequenzen ziehen
Der NSU hätte niemals über 10 Jahre im Verborgenen handlungsfähig bleiben können, wenn er nicht von den gesellschaftlichen Zuständen getragen worden wäre. Das Desinteresse der deutschen Mehrheitsgesellschaft trägt dazu bei, dass sich kaum jemand für den Mord an Laye Alama Condé interessiert. Ebenso ist es in Deutschland möglich, dass Oury Jalloh in einer Polizeizelle verbrennt, ohne dass auch nur ein verantwortlicher Polizist dafür juristisch belangt wird.
Auch die Toten an den Außengrenzen von Europa interessieren kaum länger als ein paar Tage.
Nicht nur im NSU Prozess, sondern in unterschiedlichsten Situationen gilt die Aussage „Ich bin doch kein Nazi oder Rassist“ als problemlos glaubwürdiges Bekenntnis und entlastet die Angesprochen, jenseits aller vorhandenen Widersprüchen in Bezug auf die wirklich vorhandene Weltanschauung – seien es eindeutig rechte Tattoos oder Bekleidung, die Teilnahme an Neonazidemonstrationen, nachweisbaren Übergriffen auf Andersdenkende oder ähnliches.
Von alleine wird sich dieser rassistische Normalzustand nicht ändern oder abschaffen. Dabei auf den Staat oder Parteien zu vertrauen halten wir für falsch. Es gilt die Arbeit unabhängiger antifaschistischer und antirassistischer Initiativen zu unterstützen.
Auch unter der Geschichte des NSU darf es keinen Schlussstrich geben!
Dazu bedarf es Solidarität! Solidarität mit den Hinterbliebenen der Opfer des NSU! Solidarität mit den Geflüchteten, solidarisch gegen den rassistischen Polizei und Behördenterror!
Feuer und Flamme den Ausländer-Behörden!
Abschiebungen verhindern!
Gegen die Unterbringung von Menschen in Sammelunterkünften!
Für eine Gesellschaft jenseits von Rassismus und Nationalismus!
Für eine Gesellschaft ohne Deutschland!
¹)Das Sternchen meint die geschlechterübergreifende Ansprache und unterscheidet nicht nur zwischen „Mann“ und „Frau“, sondern bezieht auch Queer, Trans, etc. als sich keiner heteronormativen Kategorie zuordnen wollenden Person mit ein. Bei den Begriff „Nazis“ wurde darauf bewusst verzichtet, da ihre Ideologie nur eine heteronormative Geschlechterkonstruktion zulässt.
²)„Leaderless resistance“ bedeuted übersetzt „führerloser Widerstand“.
Dieses Konzept des rechten Terrors bezeichnet eine Strategie, die sich als Gegenkonzept zur normalerweise autoritär und hierarchisch aufgebauten Nazi-Organisationen versteht, welche durch Verbotsverfahren eingeschränkt wird.
Antifaschistische Gruppe Bremen März 2014