Im folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag, gehalten auf der Kundgebung anlässlich des „NSU-Prozesses“ am 17. April 2013 in Bremen.
Liebe Zuhörende,
wir von der Basisgruppe Antifaschismus sind heute hier anlässlich des in drei Wochen stattfindenden NSU-Prozesses in München.
Unsere Solidarität gilt den Betroffenen des Naziterrors und allen anderen, die Rassismus tagtäglich erfahren müssen. Was das persönliche Umfeld der Ermordeten oder die durch den Bombenanschlag in Köln verletzten, in den letzten Jahren durchmachen mussten, kann sich hier wohl kaum jemand vorstellen. Sie verloren auf tragische Art und Weise einen geliebten Menschen und überlebten einen Angriff auf ihr Leben. Zudem wurden sie mit einer durch und durch rassistischen, gegen sie gerichteten Ermittlungspraxis der Polizei und einer diffamierenden Berichterstattung der Presse konfrontiert. Solidarität und Unterstützung blieben auch seitens der radikalen Linken aus. Selbst nach dem Auffliegen der TäterInnen und ihrem Unterstüzendenkreis waren die Reaktionen verhalten. Dieser Terror von Nazis und Behörden erscheint unvorstellbar. Er ist aber ein erschreckend konsequenter Ausdruck dieser Gesellschaft. Daran wird auch der Prozess in München leider nichts ändern.
Illusionen zu diesem Prozess haben wir keine. Dem Rechtsstaat geht es in München darum, sein Gewaltmonopol durchzusetzen und diejenigen zu bestrafen, in diesem Fall NazimörderInnen, die es in ihre eigenen, mörderischen Hände genommen haben. Ebenso geht es darum zu zeigen, dass irgendetwas getan wird.
An ihm knüpft eine sich betroffen fühlende deutsche Öffentlichkeit an, die besorgt ist um ihren Ruf als Geschichtsaufarbeitungsweltmeister, nicht zuletzt auf dem Weltmarkt. Eine angemessene Auseinandersetzung mit dem NSU, seiner faschistischen Ideologie, der Unterstützung durch den Verfassungsschutz und seine gesellschaftlichen Ursachen ist von diesem Prozess nicht zu erwarten.
Was tragen Sie zum Erfolg des Standorts bei? Die Frage muss sich heute jede_r gefallen lassen. Mit der anhaltenden Krise wird deutlich: Auch in den kapitalistischen Zentren ist der Wohlstand nicht sicher, sondern muss gegen andere Nationalökonomien verteidigt werden. Kapitalismus ist ein endloser Wettlauf um maximale Verwertung. Uns Menschen bleibt nichts, als unsere Lebenszeit auf immer engeren Arbeitsmärkten zu verkaufen. Wir müssen froh sein, überhaupt eine Lohnarbeit zu ergattern und jedes noch so miese Angebot annehmen. Auch die bürgerlichen Staaten bringen ihr „Humankapital“, also die ihnen unterstellten Menschen, gnadenlos auf Trab. Sie biegen jede_n zurecht, um in ihrem Herrschaftsbereich optimale Verwertungsbedingungen zu schaffen. Das ist der offen ausgesprochene Konsens aller politischen Lager, gestritten wird nur über die bestmögliche Umsetzung. Mit staatlicher Gängelung und sozialer Diskriminierung werden alle gezwungen, den ständig wechselnden Trends auf dem Arbeitsmarkt hinterherzulaufen. Die Stammtischparole der Volkswirtschaft lautet: „Wer sich genug anstrengt, bekommt auch einen Job.“ Aber in Wahrheit werden die Letzten immer von den Hunden gebissen, egal wie sehr sie sich anstrengen.
Dies ist die Ausgangslage der gesellschaftlichen Verhältnisse in denen wir leben.
In der derzeitigen Krise können sich die Betroffenen, dann auch noch die rassistischen Anfeindungen und Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gefallen lassen – die Locker auf die niederkonkurrierten Nationalökonomien wie Griechenland, Portugal und andere, angewendet werden. Die Behauptung ist nämlich: nicht die globale Standortkonkurrenz, sondern kulturelle Eigenschaften hätten die so genannten Pleitegriechen in ihren Ruin getrieben.
Die Folge dieser so genannten Erklärungen kennen wir täglich aus dem Fernsehen: die Abschottung der EU Außengrenzen, die Einteilung in so genannte nützliche und nicht nützliche Migrant_innen, die Außerkraftsetzung der Reisefreiheit in der EU und so weiter.
Wer dies nun unvorstellbar findet, dem oder der sei gesagt, dass es in der Bundesrepublik noch verhältnismäßig moderat zugeht. Die Situation in Griechenland bspw. ist für Migrant*innen mittlerweile so gefährlich, dass sie dahin nicht mehr abgeschoben werden dürfen. Dort macht die Polizei gerne mal zusammen mit FaschistInnen Jagd auf diese und die offen faschistisch auftretende Partei Chrysi Avgi feiert erschreckend hohe Wahlergebnisse. Aber auch in anderen europäischen Ländern verzeichnen rechte Parteien einen enorme Popularitätssteigerung. Der Grund dafür ist simpel: Anderen die Schuld zu geben und sich so Erklärungen für das alltägliche Leid zu finden, ist nunmal wesentlich einfacher, als die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gänze in Frage zu stellen.
Der Skandal um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) offenbart aber ebenso die ideologische Verschränkung von rechter Straßengewalt, institutionellem Rassismus und Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft. Behörden, Medien und Öffentlichkeit haben ein Jahrzehnt lang und gegen jede Evidenz die Opfer einer Nazi-Mordserie und ihre Angehörigen als kriminell Verstrickte stigmatisiert, als Mitglieder zwielichtiger „migrantischer Communities“. Rassistische Zuschreibungen wie „Döner-Morde“ und „SoKo Bosporus“ schützten vor allem das notorisch gute Gewissen der Öffentlichkeit. Einer Öffentlichkeit, die mordende Nazis und Antifaschist_innen als „Extremist_innen“ gleichsetzt, um sich selbst als Maß und Mitte zu genießen; die „Vielfalt“ zum Leitbild erklärt, aber nach Verwertungsinteressen und eigenen ideologischen Bedürfnissen ausbuchstabiert. Modern an diesem modernisierten Rassismus ist nicht seine Sympathie für Fachkräfte aus dem Ausland, sondern seine ideologische Flexibilität, die je nach Lage zwischen liberalen, kulturchauvinistischen und rassenbiologischen Deutungsmustern hin und her gleitet. Der Karneval der Kulturen und rassistische Sondergesetze sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
Die Kritik dieser gesellschaftlichen Verhältnisse muss die Mechanismen der Macht in allen Lebensbereichen entziffern und untergraben. Auch Antirassismus ist erst konsequent, wenn er alltägliche Diskriminierung und globale Ausbeutungsverhältnisse in ihrem Zusammenhang bekämpft. Antikapitalistische und antirassistische Kämpfe gehören zusammen – in einer wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.
Wir wollen eine Welt in der die Menschen nicht mehr in Nützlich und Unnütz eingeteilt werden. In denen die Trennung von so genannten Ausländern und Inländern aufgehoben wird und alle Menschen dort leben und Reisen können wohin sie wollen -unabhängig vom Alter, vom Geschlecht oder der Hautfarbe und Herkunft.
Um dies zu erreichen ist es notwendig diese ganze Marktwirtschaft, diese gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden und auf dem Weg dorthin Nazis wie die den so genannten Nationalsozialistischen Untergrund und andere FaschistInnen weiter konsequent zu bekämpfen, ihre Aufmärsche zu blockieren, ihre Infrastruktur zu sabotieren und ihre Anknüpfungspunkte zur Restgesellschaft offen zu legen. Die Grenzen dafür enden nicht am staatlichen Gewaltmonopol. Auch wenn in der derzeitigen Krise die Chance für eine emanzipatorische Aufhebung der Verhältnisse nicht wahrscheinlicher geworden ist, gilt auch weiterhin:
Wir wollen diese Ordnung fallen sehen, lieber heute als morgen. Wir wollen eine Gesellschaft ohne Staat, Nation und Kapital – und ganz sicher ohne Ausländerbehörde.
Bilder der Kundgebung, geschossen von dissentimages
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