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Warum geben wir keine Wahlempfehlung zur Bürgerschaftswahl am Sonntag?
Wen wählst du? Eine linke Partei in der Bürgerschaft wäre ja schon gut…. Wie, du gehst nicht wählen? Dann geh doch wenigstens ungültig wählen, damit dein Protest gehört wird…. Und außerdem bekommen die Rechten dann nicht deine Stimme? Aber wählen gehen, das bringt doch nichts…das wäre doch verboten, wenn’s was bringt…
Wann immer die nächsten Wahlen anstehen, drehen sich die politischen Diskussionen um das Thema Wahlen – welch eine Überraschung.
Wer könnte was wollen, wer schafft wieviel Prozent und was wäre hinterher alles möglich? Nichts ungewöhnliches soweit, schließlich handelt es sich um eine Form gesellschaftlicher Teilhabe – oder nicht?
Wer dies in Frage stellt, wird die Diskussionen zur Genüge kennen. Als kommunistische Gruppe haben wir eine grundsätzliche Kritik am Parlamentarismus. Eine Wahlempfehlung werden wir daher nicht ausstellen.
Denn im Parlament muss sich konstruktiv mit dem Kapitalismus beschäftigt werden. Daran ändert tatsächlich auch die jeweilige Partei wenig, denn es geht um ökonomische Notwendigkeiten.
Wahlen, werfen zumindest periodisch die Frage eines “richtigen” Zusammenlebens auf, vielmehr aber auch nicht.
Wir machen aber kein Geheimnis daraus: Unserem Verständnis nach, sollte Politik auf der Straße stattfinden. In den Stadtteilen und Betrieben, überall da, wo Leute ihre Wut gegen das Gesamtinteresse von Staat, Nation und Kapital sichtbar machen. Aber vielleicht gibt es ja noch etwas jenseits des kleineren Übels oder des individuellen Wahlboykotts? Wir geben in den kommenden Tagen ein paar Statements, altbekannte Weisheiten und andere Ansichten von uns.
Wir finden, Wählen ist eine Sorte politische Praxis, aber wir sehen euch lieber mit uns auf der Straße. In den Kämpfen gegen Zwangsräumungen und Preiserhöhungen, ohne eine nationalistische „Friedensbewegung“ aber dafür antinational gegen Krieg und Aufrüstung, gegen die patriarchalen Sehnsüchte der religiösen Rechten, ohne kapitalistische Ausbeutung und die ganze andere „alte Scheiße“ (Marx).
Bringt es was das kleinere Übel zu wählen?
Vor der Wahl gerät die Jagd nach ihm für manche geradezu zum (Denk)Sport. Andere stellen die wildesten mathematischen Verrenkungen an um es zu finden. Die Rede ist vom “kleineren Übel”. Dabei zeigt die Erfahrung, alle Parteien sind übel, egal ob groß oder klein.
Beispiele dafür gibt es viele. Ob die größte Umverteilung von “unten” nach “oben” in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, “Hartz IV”, oder die erste deutsche Kriegsbeteiligung nach 1945 in Jugoslawien. Zu verantworten hatten sie nicht rechte oder konservative Parteien, sondern SPD und Grüne. Auch mit der Linkspartei ist nicht alles eitel Sonnenschein. Das zeigen in Bremen z.B. die Kürzungen in den von ihr verantworteten Krankenhäusern der „Gesundheit Nord“. In Berlin unterstützte sie zwar die Kampagne “Deutsche Wohnen enteignen”, hat aber einen Großteil dieser Wohnungen vor fast 10 Jahren erst selbst privatisiert. Sie hat also das Problem erst mit verstärkt, gegen dass sie nun vorgehen will.
All das liegt nicht am mangelnden guten Willen der Politiker*innen. Sicherlich, manche von ihnen sind unangenehmer als andere. Wer sich aber vor allem am Personal der Parteien abarbeitet, übersieht leicht wie beschränkt Parlamente und Regierungen in Wirklichkeit sind. Sie sind strukturell an Recht und Gesetz und somit an das konstruktive Gestalten der kapitalistischen Verhältnisse gebunden. Wie klein die Spielräume in Wirklichkeit sind, zeigt z.B. der gescheiterte Mietendeckel in Berlin.
Auf wen können wir uns dann aber noch wirklich verlassen? Nur auf uns! Wirklich sicher können wir uns nur selber sein, in Gewerkschaften und Mieter*innenvernetzungen oder in unseren Kämpfen gegen Rassismus, Patriarchat und Klimawandel.
Deswegen, egal ob und wenn ja, welches Übel ihr auch wählen solltet, entscheidend ist etwas anderes. Entscheidend ist, was ihr gegen diese Übel unternehmt. Und das klappt nur außerhalb der Wahlkabine.
Wählen gegen rechts?
Ob als direkte Gewalt auf der Straße, rassistische Vermieter*innen, sexistische Vorgesetzte, in der Schule, Nachbarschaft oder Kneipe, „rechts“ drückt sich vor allem im Alltag aus. Rechte Aufmärsche, Infostände oder Abgeordnete sind nur die Spitze des Eisbergs. Trotzdem vergeht kaum eine Wahl in Deutschland, bei der nicht mit der Parole „gegen rechts“ zur Stimmenabgabe getrommelt wird. Wie soll ich aber meinen rassistischen Kollegen abwählen?!
In Deutschland ist (noch?) keine Partei rechts von der Union an einer Regierung beteiligt. Die Aufmerksamkeit, die die Rechten aber im Parlament und in den Wahlkämpfen auf sich ziehen, kann aber ein Mittel sein trotz dessen Einfluss zu nehmen. Ein Beispiel hierfür ist die starke Einschränkung des Asylrechts 1992 durch SPD und CDU/CSU. Dem vorausgegangen waren nicht nur die Pogrome von Mölln und Lichtenhagen und Nazi-Straßenterror, sondern auch die Wahlerfolge der damals erfolgreichen rechten Parteien DVU und Republikaner. Um deren Wähler*innen für sich zu gewinnen übernahmen SPD und Union ihre Inhalte – und setzten sie um. Das ist vielen Rechten auch bewusst. Nazis wie die NPD haben bereits Anfang der 90er Jahre versucht daraus ein strategisches Konzept umzusetzen („Kampf um die Straße – Kampf um die Köpfe – Kampf um die Parlamente“). Außerdem ist die Teilnahme an Wahlen bzw. der relative Wahlerfolg für Rechte auch eine Möglichkeit sich über die Wahlkampfkostenrückerstattung zu finanzieren.
„Ich bin froh, wenn ich mich aus dem Zirkus da verabschieden kann.“
(Frank „Kantholz“ Magnitz, AfD Bremen am 27.6.21 im Weser Kurier über seine Zeit als Bundestagabgeordneter)
Zur Bürgerschaftswahl hat die Bremer AfD ihren Wahlantritt erfolgreich selbst verabschiedet. An ihre Stelle sind nun die „Bürger in Wut“ (BiW) getreten, mit Umfrageergebnissen bis zu 9 Prozent.
Rechte, ihre Inhalte und Gewalt lassen sich nicht abwählen. Sie können nur praktisch bekämpft werden. Das geht durch direkte Gegenwehr, indem sie so daran gehindert werden das zu tun, was sie tun. Dazu gehört aber auch der Aufbau starker Bewegungen, in denen gemeinsam die Erfahrung der Verbesserung der eigenen Lebensumstände durch eine solidarische Praxis gemacht werden kann. Beispiele hierfür sind antikapitalistische Gewerkschaften und Mieter*innenorganisationen, feministische, antirassistische und klimapolitische Bewegungen.
Eine jede Stimme für eine linke Partei – ohne die Illusion zu haben damit wirklich etwas zu ändern – ist eine Stimme für die Rechten weniger, ist vielleicht ein Mandat, ein bisschen Geld und etwas Aufmerksamkeit weniger. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Warum wir individuellen Wahlboykott von links für falsch halten
Wer wählen geht, verändert nichts. Jede Stimme legitimiert nur diese beschissene Gesellschaft. Die Ausbeutung. Das Patriarchat. Die hohen Mieten. Alles. So ungefähr lautet das Kernargument, wenn es um Wahlboykotte geht. Und das ist inhaltlich korrekt – für praktische Politik aber völlig unbrauchbar.
Denn: dieser Staat wird nicht durch Kreuze am Wahltag legitimiert, sondern weil wir es nicht schaffen, an allen anderen Tagen erfolgreich gegen ihn zu kämpfen. Wer individuellen Wahlboykott für eine sinnvolle, revolutionäre Praxis hält, fällt auf das demokratische Spektakel um jede anstehende Wahl herein.
Für uns stellt es kein Problem dar, dass Leute zu Wahlen gehen, sondern, dass sich Viele dadurch ein besseres Leben und tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen versprechen. Vielleicht gar eine schleichende Revolution. Aber das gibt der Parlamentarismus nicht her – egal, wer den Hut aufhat.
Was also wirklich gegen diese Zustände hilft, ist der Druck der Straße, an unseren Arbeitsplätzen, in unseren Stadtteilen, in den Jobcentern. Wir müssen uns selbst für unsere Bedürfnisse stark machen. Das gute Leben für Alle ist mit diesem System nicht zu machen. Das geht nicht allein, nur zusammen. Und das geht an jedem Tag so gut wie an einem Wahltag.
Was tun? Get organized!
Mit dem Parlamentarismus sind nur kleine Veränderungen möglich. Parteien beziehen sich konstruktiv auf den Kapitalismus, nicht weil sie unbedingt wollen, sondern weil sie müssen, um regierungsfähig zu sein. Die Errungenschaften, die es innerhalb dieses Systems gab, entstanden durch Druck außerhalb des Parlaments. Wenn die Regierenden angesichts von Streiks und massenhaften Unruhen Angst vor unregierbaren Verhältnissen hatten, mussten sie Zugeständnisse machen, um den Laden am Laufen zu halten.
Das Ziel kommunistischer Politik – die Überwindung von Staat und Kapital – ist durch Parteien und Parlamente nicht zu erreichen. Es braucht stattdessen revolutionäre, antiautoritäre Selbstorganisierungen außerhalb des Parlaments gegen Staat und Kapital. Organisierungsformen, die da ansetzen wo die Menschen sind – an ihrem Arbeitsplatz oder ihren Wohnorten. Diese Organisierungen befähigen die Menschen ihre Lebensumstände selbst kollektiv zu gestalten und bauen so Gegenmacht auf. Weil diese Gegenmacht an den Lebensumständen der Menschen ansetzt und kollektive Stärke schafft, lassen sich soziale Kämpfe gewinnen – z.B. mit anderen Mieter*innen gegen den Vermieter*innen oder mit den Kolleg*innen gegen den Unternehmer*innen. Eine kämpferische Bewegung, die Solidarität erfahrbar und das eigene Leben politisch reflektierbar macht, ermöglicht es erst, eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus in Angriff zu nehmen.
Deswegen: Organisiert euch! Es gibt viele Möglichkeiten sich in Bremen zu organisieren. Das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen oder das Bündnis Zwangsräumungen verhindern sind nur einige Beispiele dafür. Und auch wir freuen uns über jede*n die*der sich mit uns organisieren möchte.