Wir verwenden in dem Text den Gender-Gap (Unterstrich) um auf die Möglichkeit und Existenz von Identitäten außerhalb der angenommenen Zweigeschlechtlichkeit hinzuweisen.
Einführendes Pop-Zitat
Hyper, Hyper! (Scooter)
Idee
Im Jahr 2010 jährte sich der 20. Jahrestag der Eingliederung der ehemaligen DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD. Zeit für die Angehörigen der BRD samt ihrer Regierenden, die eigene Unterdrückung abzufeiern. Ob die Debatte um Hartz IV, die Streiks der IG Metall, die Humankapitalvermehrungskampagne des Bundesministeriums für Familie, die Idee der Nation stellt einen politisch relevanten Bezugspunkt in allen Lebensbereichen dar. Ausgehend von den Debatten Anfang der 1990er Jahre rund um Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, der „4.-Reich-These“ und dem Zerfall der Autonomen Bewegung, setzte sich in einer Strömung der radikalen Linken die Erkenntnis durch, dass Antinationalismus einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf und die jeweiligen nationalen Bezugspunkte und die Ausgangslagen der eigenen Standpunkte reflektiert gehören. Oder anders: wer in Deutschland primär agiert, muss auch wissen, wie speziell hier der Laden so läuft und welche falschen „Argumente“ zur seiner Legitimation herangezogen werden.

Alle zusammen ?! (Bündnisse)
… der Bremer Beat.

Die Vorbereitungen in Bremen begannen mit den Planungen eines Workshoptages um die Waffen der Kritik der Bremer radikalen Linken zu schärfen und sich kollektiv darüber zu verständigen, was unter der Nation und ihrer Feierei begrifflich zu verstehen sei. Zu diesem Workshoptag legten Gruppen, überwiegend aus dem Antifa-Spektrum der Bremer Linken, Thesenpapiere zur Kritik der Nation vor. Dass es überhaupt das Interesse gab, diese Debatte gemeinsam zu führen, begrüßten wir ausdrücklich. Auch bei uns führte dies dazu, sich intensiv mit dem Gegenstand zu beschäftigen. Der Workshoptag hatte eine gute Atmosphäre, in der ernsthaft diskutiert wurde.
Uneinigkeit bestand im so nun konstituierten Bündnis jedoch darüber, ob dies ein reiner Diskussionstag gewesen sei oder eine Debatte, die der weiteren Bündnisarbeit als inhaltliche Grundlage dienen solle. Problematisch im Nachhinein beurteilen wir die Einladungspolitik dieses „Diskussionskreisbündnisses“. Denn obwohl sich auf den Treffen teilweise darüber unterhalten wurde, welche Gruppen noch zu den Treffen eingeladen werden könnten (bzw. nicht), wurde die Debatte über tatsächliche oder angenommene inhaltliche Differenzen zu anderen Gruppen niemals wirklich geführt. Dies bedeutete in der Konsequenz, dass vor allem Gruppen, die gefühlt inhaltlich dem Antifa-Spektrum nahe standen, eingeladen wurden. Hier haben aber auch wir uns nicht deutlich genug dafür ausgesprochen, weitere Gruppen aus Bremen einzuladen.

…und warum er in die Tonne gehört.
Dies alles führte dazu, dass sich sowohl eine Vielzahl von Gruppen als auch Einzelpersonen aus dem Kreis der radikalen Linken nicht an den Vorbereitungen beteiligt haben. Gruppen, die sich nicht kulturell als antideutsch/antinational verstehen, hatten keine wirkliche Chance die Debatte innerhalb des Bündnisses mit zu führen. Ob nach einer entsprechenden Debatte Gruppen aus dem Bündnis gegangen wären, können wir nicht wissen. Was uns auch vor die Probleme gestellt hätte, klären zu müssen, was inhaltliche und bündnisstrategische Mindeststandards sein könnten. Basis für politische Bündnisse müssen u. E. die punktuelle inhaltliche und strategische Übereinstimmung der Ziele von Gruppen/Zusammenhängen sein – nicht die diffuse, gefühlte Zugehörigkeit zur radikalen Linken. bzw. einiger ihrer Teilströmungen. Womit auch noch nicht geklärt ist, was dies jetzt genau beinhaltet.

UG/Bundesweit
Etwa zeitgleich initiierte das bundesweite kommunistische Bündnis …ums Ganze! ein Treffen mit Bremer Gruppen. Zentraler Diskussionspunkt hier war, ob eine Zusammenarbeit zum dritten Oktober auf Basis inhaltlicher und strategischer Übereinstimmungen möglich sei. Uns passte dieses Angebot auf Zusammenarbeit, da wir inhaltliche Überschneidungen mit UG in der Analyse der Zusammenhänge von Staat, Nation, Kapital sowie (Lohn)Arbeit feststellten.
Diese Parallelität der Bündnisentstehung produzierte in Folge für die Zusammenarbeit einige problematische Situationen. Unter anderem in der Frage, was für Positionen und Zielsetzungen eigentlich das Bündnis in Bremen vertrete und wie diese im Zusammenhang mit …ums Ganze! und weiteren hinzukommenden Gruppen aus anderen Städten seien, wurde dies deutlich.
Gemeinsam in Bremen und bundesweit entschieden wir uns für eine Demonstration, einen bundesweiten Workshoptag und Aktionstage rund um die Feierlichkeiten, um eine Möglichkeit des kollektiven Denunzierens der deutschen Nation zu schaffen und in der Mobilisierung die Debatte über die Kritik der Nation in der radikalen Linken voran zu treiben.

…und die Probleme
Die bereits weiter oben angesprochene zeitgleiche Konstitution zweier Bündnisse erwies sich in Folge als enorme Herausforderung, da es galt, diese beiden nun in ein gleichberechtigtes Verhältnis zueinander zu setzen. Diskussionen über Technix und politischen Fragen führten, nach der Öffnung des Bremer Bündnisses nach dem Bremer Workshoptag, zu faktischen Informations- und Entscheidungshierarchien unter den Beteiligten. Dies vor allem zwischen denen, die seit Anbeginn dabei waren und bereits einige Absprachen mit Gruppen aus anderen Städten getroffen hatten und solchen, die sich nun vor vollendete Tatsachen gestellt sahen. Dieses Problem hätte sich u. E. durch ein Mehr an Transparenz untereinander und klareren inhaltlichen Bündnis-Basics ausräumen lassen.

Die Kommunikation im Bündnis, stellte sich zum Teil als problematisch dar. Wir haben es nicht geschafft für einen gleichberechtigten Informationsaustausch unter den Beteiligten zu sorgen. In Zukunft muss das auf Bündnistreffen frühzeitig diskutiert werden.

Mobilisierung
Den ersten Workshoptag in Bremen sehen wir deshalb als erfolgreich an, weil die Bremer Gruppen, die an ihm teilnahmen, sich so intensiv mit den Gründen der eigenen Praxis auseinandersetzten und sich in einem solidarischen Austausch darüber miteinander begaben.
Der bundesweite Workshoptag am 11.9. in Bremen fiel für uns überraschend größer aus als erwartet. Dies machte Hoffnung auf die Aktivitäten rund um den 3. Oktober. Auch die räumliche Aufteilung in drei Veranstaltungsorte erwies sich u. E. als sinnvoll für die Atmosphäre.
Die über 20 Mobilisierungsveranstaltungen, die in verschiedenen Städten stattfanden, waren, von einigen Ausnahmen abgesehen, eher mäßig besucht. Dies lässt uns zu dem nicht wirklich neuen Schluss kommen, dass es zwar eine diffuse Ablehnung von „Deutschland“ in der radikalen Linken gibt, jedoch die Frage, warum es so wichtig ist, die Nation zu kritisieren, und was genau damit eigentlich gemeint ist, in der radikalen Linken keine besonders große Beachtung findet. Eine Folge hieraus ist, dass zumeist die Differenz zwischen antideutscher und antinationaler Kritik mehr zur Verhandlung von gegenseitigen Projektionen verkommt als zur Benennung inhaltlicher Differenzen.
Die Gestaltung der Mobilisierungsveranstaltungen erscheint uns unzureichend. Denn inhaltlich wurde bei diesen Veranstaltungen kaum etwas vorgetragen. Wir sehen in Mobilisierungsveranstaltungen auch immer eine Möglichkeit, mit Genoss_innen ins Gespräch zu kommen und diskutieren zu können. Wenn auf Veranstaltungen (fast) nur über Technix gesprochen wird, wird die Chance dazu vergeben. Ebenso wird die „klassische“ Antifa-Praxis, kaum über Inhalte reden zu wollen, sondern nur Leute auf einer Demo zu versammeln, so reproduziert.

Einen recht großen Mobilisierungserfolg konnten die Genoss_innen des Aufrufes „Hauptsache es knallt“ für sich verbuchen. Zumindest galt das für die Repressionsorgane, die sich gerne auf dieses Papier beriefen.
Bemerkenswert ist dieser Aufruf deshalb, weil er an vielen Stellen falsch ist. In diesem wird behauptet, dass die herrschende Gesellschaft den Charakter einer Volksgemeinschaft hätte. Wobei hier nicht genau erläutert wird, ob die Autor_innen ein historisches Verständnis von ihr haben, also wie im offiziellen NS-Sprech als Versuch, die Klassengegensätze durch eine Volksgemeinschaft scheinbar zu negieren. Oder aber dem Wortsinne nach, als ein wie auch immer geartetes „Volk“, dass nach homogenisierender Kollektivierung strebt. Falsch ist es u. E., dem (antideutschen) Irrglauben aufzusitzen, in einem Postnazismus zu leben, also gewissermaßen in ungebrochener Kontinuität zum „dritten Reich“. Richtig ist, dass völkische Vorstellungen in der Gesellschaft existieren. Daraus zieht jedoch der überwiegende Teil der Gesellschaft der BRD nicht den Schluss, eine Volksgemeinschaft im Verständnis des NS durchsetzen zu wollen. Mit dieser ginge u. a. die Ethnisierung der sozialen Frage einher, die von rassifizierten Menschen befreit werden müsse (und somit mehr Lohnarbeitsplätze etc. zu bekommen). Dafür aber gibt es in der BRD, spätestens seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts, genug legalisierte Möglichkeiten. Dass „der Deutsche“ zum Pogrom neige, erzeugt zudem einen angenommenen geschichtlichen Determinismus, der zumindest der BRD im Jahr 2010 nicht entspricht.
In „Hauptsache es knallt“ wird aus alle dem der Schluss gezogen, dass die die Einheitsfeierlichkeiten organisierenden Nationalist_innen „Namen und Adressen“ haben. Wenn wir allerdings in einer Volksgemeinschaft leben würden, würden für uns, im Zusammenhang mit dem Aufruf, folgende logische Fragen sich auftun:1.Wer wäre dann noch zu agitieren? 2. Müssten dann die Menschen, die zu den Einheitsfeierlichkeiten gegangen sind, nicht Ziel der militanten Auseinandersetzungen sein? 3. Wie entstehen eigentlich die Linksradikalen, wenn alle doch von der Volksgemeinschaft determiniert sind?
An dieser Stelle sei auch noch mal auf unser Thesenpapier „Antinationalismus als Querschnittsanforderung“ hingewiesen.
Die militanten Auseinandersetzungen im Vorfeld des dritten Oktober sind u. E. insofern gut gewesen, da sie das Thema präsent in den Medien hielten und zur Mobilisierung beigetragen haben. Allerdings eben immer im falschen Sinne des Aufrufes „Hauptsache es knallt“.

Presse
Im Vorhinein erachteten die Gruppen im Bündnis die Pressearbeit als äußerst wichtig. Allerdings gab es weder eine gemeinsame Vorstellung darüber, was dies konkret heißt, noch, wer sie denn auch machen solle. In der Nachsicht bewerten wir die Presseresonanz als „gut“. Primär jedoch wirkte das Problem, dass im Bündnis keine inhaltlichen Vorstellungen darüber existierten was das Bündnis (in Bremen) denn für Inhalte vertreten solle. Für uns lag der Hauptaspekt hierbei auf der von uns favorisierten Kritik des kapitalistischen „Normalzustandes“ mitsamt der Nation, als ideologischer Kitt für das Funktionieren der kapitalistischen Vergesellschaftung. Die „BILD“ hypte uns als Gruppe im speziellen, als auch im Allgemeinen …ums Ganze!, indem sie mit dem freundlichen Abdruck unseres Aufklebers (allerdings ohne Genehmigung…) gute Werbung für uns machte.
Die Pressekonferenz am 01. Oktober bewerten wir als gelungen, viele wichtige Pressevertreter_innen waren anwesend. Die abschließende Berichterstattung war dann für uns mehr als zufriedenstellend: „Radikale Absage an Staat, Nation und Kapital“ (Spiegel)… etc.


Veranstaltungen

Die Vorabendveranstaltung „Wie normal ist Deutschland“ war ein großer Erfolg. Über 300 Menschen nahmen daran teil. Unsere Einschätzungen zur Debatte sind sehr unterschiedlich und reichen von „sehr aufschlussreich“ bis hin zu „Enttäuschung“. Was inhaltlich in jedem Fall jedoch deutlich wurde, sind die offensichtlich veränderten Erscheinungsformen des deutschen Nationalismus. Deutlich wird dies in der Selbstinzenierung als „geläuterten Nation“ als eine Voraussetzung für die so wieder mögliche Artikulation und Durchsetzung der „Großmachtinteressen“ der BRD. Im Nachhinein selbst kritisieren müssen wir uns, dass wir es nicht geschafft haben, dass Podium in einem einigermaßen (zumindest) ausgewogenen Gender-Verhältnis zu besetzen.

Demo
Die Demo selbst war für uns ein Mobilisierungserfolg. Mit über 232 Reihen a 10 Personen (taz) haben wir so viele Menschen bundesweit mobilisiert, wie vermutlich im Moment zu diesem Thema nur möglich sind. Der Democharakter, der eine „Wir“-gegen-„Euch“-Stimmung erzeugen sollte, war dem Thema angemessen, wie wir finden. Über weite Strecken war die Stimmung gut und vor allem der Jugendblock sorgte für einiges Aufsehen. Die Stimmung im „Bremer-Block“ und dem „UG-Block“ war über weite Strecken gut. Auch Pyro und Böller trugen einiges zur Stimmung der Beteiligten bei.
Was uns allerdings fehlte – und was wir überhaupt nicht im Vorfeld beachtet haben waren Flyer, die außerhalb der Demo hätten verteilt werden können.
Auch die vielen Stop and go Situationen trugen nicht gerade positiv zur Stimmung bei. Die Bullentaktik bestand von Anfang an in einer Art „aggressiver Deeskalation“ und der Einsatzleiter, der sonst für das Schanzenfest in Hamburg zuständig ist, ließ wenig Verhandlungsspielraum.

Lauti
Das Verhältnis der beiden Lautis war ein schwieriges, die Kommunikations- und Abstimmungswege zwischen den Wagen waren nicht gut gelöst. Der UG Lauti war musikalisch recht stark und trug gut zur Stimmung, zumindest im hinteren Teil der Demo bei, übertönte allerdings auch öfters so den vorderen Lauti. Das übertönen des Bremer Lautis durch den UG Lauti war deshalb so „leicht“, da der Bremer einen technischen Defekt hatte und deshalb nicht voll ausgelastet benutzt werden konnte.
Problematisch finden wir streckenweise die Musikauswahl auf dem UG Lauti. (4 Promille, KIZ …).

Repression
Am Tag der Demo selbst gab es nur wenige Ingewahrsamnahmen. Zu Danken sei an dieser Stelle besonders den Genoss_innen des EA und der Roten Hilfe.

Politische Einschätzung
Unserem Ziel, Deutschland abzuwracken und endlich eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können, zu errichten, sind wir wohl nur wenig näher gekommen. Was wir in den Vorbereitungen in der radikalen Linken bewirken konnten, ist die Verbreitung der Erkenntnis, dass die inhaltliche Bestimmung der eigenen Praxis selbst immer wieder aufs Neue geführt werden muss. Gerade an den Debatten um antinationale/antideutsche Kritik wurde deutlich, dass diese vor allem mittlerweile eine Antifa-Debatte (oder Post-Antifa Debatte) zu sein scheint. Das heißt im Umkehrschluss, dass andere Teile der radikalen Linken oftmals nur schemenhaft bestimmen können, was antideutsche/antinationale Kritik bedeuten könnte und diese meist mehr Projektion als inhaltliche Bestimmung ist.
Wer das Ziel hat, den Laden abzuschaffen, muss eben auch die nationale Bedingtheit des eigenen Handlungsausgangspunktes reflektieren und zur Kenntnis nehmen, wie gesellschaftliche Zustände im Hier und Jetzt aussehen. Wer dazu Zukunftsprognosen über angenommene völkische Exzesse vornehmen will, versucht die eigene, jetzt schon falsche Analyse in die Zukunft zu verlängern. Dabei ist die Geschichtsanalyse eben nur eine Analyse der Geschichte und damit immer begrenzt. Geschichte ist nicht vorhersehbar, wir können nur Annahmen darüber anstellen.

Die „Anderen“ da draußen, die nicht-Linken, denen konnten wir mit unserer Kritik wohl nur rudimentär etwas mit auf dem Weg geben. Um Spiegel Online in diesem Fall erneut treffend zu zitieren: Demo am 2. Oktober: „Radikale Absage an Staat, Nation und Kapital“.

Vielen Dank an alle die an den Vorbereitungen beteiligt waren und ihr Arbeitskraft und Zeit investiert haben!

Abschließendes Pop Zitat
„You gonna die another day…“ Madonna

Basisgruppe Antifaschismus (BA) Bremen im Dezember 2010

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Auswertungstext der Genoss_innen der TOP Berlin