Zum Geschlechterverhältnis im Kapitalismus

Folgender Text versteht sich als grundsätzlicher Diskussionsbeitrag der BA anlässlich der gemeinsam von der Basisgruppe Antifaschismus (BA) Bremen und der Gruppe la.ok – latente Aggression und organisierte Kritik ausgerichteten Veranstaltung „Warum sich gesellschaftliche Verhältnisse nicht dekonstruieren lassen, oder: Warum Feminismus und Marx zusammengehören.“ am 25. November 2011 in Bremen.

Die gegenwärtig vorherrschende Vorstellung von zwei zueinander in Relation stehender Geschlechtern, inklusive eigenständigem Geschlechtswesen bzw. aus den Geschlechtsmerkmalen abgeleiteten psychischen Verfassungen, entstand im Zuge und ist vorläufiges Ergebnis der Entwicklungsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft und damit des Kapitalismus. Die Durchsetzung dieses Verhältnisses ist aber nicht direkt aus dem gesellschaftlichen Kapitalverhältnis abzuleiten. Dieses transformierte jedoch die vorkapitalistische, nicht eindeutige Trennung gesellschaftlicher Sphären in Produktions- und Reproduktionssphäre entlang geschlechtlicher Zuteilung.

„I’m a barbie girl, in the barbie world“ (Aqua, Barbie Girl)
Bereits in der frühbürgerlichen Ideologie der Aufklärung wurde der Grundstein für ein als männliches, weißes, heterosexuell gesetztes gesellschaftliches Subjekt und das mit deren abgespaltenen Anteilen davon getrenntes weibliches Subjekt gelegt. In allen darauf folgenden bürgerlichen Ideologien und gesellschaftlich wirkungsmächtigen Vorstellungen finden sich seitdem an diese anknüpfende oder drauf aufbauende Subjektformen. Aus dieser Asymmetrie entlang der Positionen im Geschlechterverhältnis wird die bis heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Vorstellungen stattfindende Abwertung und Schlechterstellung von Frauen begründet. Die Vorstellung von eigenständigen Geschlechtswesen, als zwei aufeinander bezogene hierarchische geschlechtliche Positionen, als Zuweisungen von Ab- und Aufwertungen, so wie die Konstitution von sogenannter weiblicher und männlicher Psyche wurde medizinisch, philosophisch und politisch in Folge durchgesetzt.
Diese Aufteilung wurde ebenso mit der geschlechtlichen Zuweisung der gesellschaftlichen Bereiche vollzogen. Zusammenfallend mit der mit der Entstehung des Kapitalismus einhergehenden gesellschaftlichen Trennung von „privat“ und „öffentlich“, Produktion und Reproduktion, Kopf- und Handarbeit etc. wurde diese auf der Ebene der Ideologie als gesellschaftlich hierarchisch und damit als „ungleich“ markiert.
Diese Trennung materialisiert sich in Folge in den Menschen durch die Aneignung und Ausprägung psychischer Beschädigungen und spezifischer Verhaltensweisen.
Die Trennung in Produktions- und Reproduktionsbereich als zwei Teile gesellschaftlich notwendiger Arbeit waren und sind so bis heute geschlechtlich zugewiesen, so wie die damit einhergehende Hierarchisierung. Auch wenn die gesellschaftliche Zuweisung in diese eindeutigen Sphären für Männer und Frauen immer schon umkämpft war, änderte sich an ihren quantitativen Durchschnitt bis heute aber kaum etwas. Letztendlich setzten sich immer die Männer in der Frage, „wer zu Hause bleibt“ gegen die Frauen durch. Dabei ist entscheidend, dass die Möglichkeit „zu Hause“ bleiben zu „können“ (bzw. zu müssen), immer mit der punktuellen Freisetzung von Lohnarbeit verbunden war.

„Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann“ (Johanna von Koczian, Wunderbar ist die Welt)
Die in den 1980er Jahren geführten Diskussionen der so genannten Hausarbeitsdebatte hatten die Intention, Hausarbeit als produktive Tätigkeit auszuweisen und somit die individuelle Reproduktionsarbeit, die eben auch immer gesellschaftlich notwendige Arbeit ist, aus der gesellschaftlichen Unsichtbarkeit zu holen – und mit ihr auch die Frauen. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Haus- und Reproduktionsarbeit Gebrauchswert in Form der Arbeitskraft produziert. Hausarbeit schafft aus der Perspektive der Kapitalakkumulation aber keinen Mehrwert – sie ist aber immer von ihr abhängig. Insofern bleibt sie für den Kapitalakkumulationsprozess immer eine wichtige Bedingung.
Die konkrete Ausgestaltung der Kapitalakkumulation und der mit ihr zusammenhängenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unterlagen historisch immer Veränderungen. In den Hochzeiten des Fordismus wurden Frauen, als Teil der mehrheitlich der Hausarbeit zugewiesenen Sphäre, indirekt vom männlichen Ernährerlohn mitfinanziert. Zumindest galt das für die in einer bürgerlichen Kleinfamilie lebenden heterosexuellen Zweierbeziehungen. Frauen leisteten gleichzeitig jedoch dazu schon immer, vor allem prekäre, Lohnarbeiten. Dieses Abhängigkeits- und damit Zwangsverhältnis gestaltete und gestaltet sich aber (nicht nur) als rein ökonomisches, sondern auch als ein ideologisch-verinnerlichtes. Es lud bzw. lädt so die „Verantwortung“ für das „Funktionieren“ dieser Beziehungen auf die Schultern der Frauen ab und belastet(e) sie so doppelt. Dies alles wird im Diskurs über die aktuell stattfindende Auflösung der „Normalarbeitsverhältnisse“ meistens nicht erwähnt.
Im Vergleich dazu hat sich die Erscheinungsform des Geschlechterverhältnisses im globalen Westen der kapitalistischen Zentren und insbesondere in der BRD inzwischen deutlich gewandelt. Hier kann von einer Erosion, bei gleichzeitiger Intensivierung, der geschlechtlichen Arbeitsteilung gesprochen werden. Immer mehr Frauen gehen (müssen) selbst Lohnarbeiten. Dies bringt zwar einerseits für diese eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit mit sich, gleichzeitig ist mit dem zeitgleich stattfindenden Rückbau des Sozialstaates den Frauen erneut die privatisierte Haus- und Reproduktionsarbeit und damit die immer schon bestehende Doppelbelastung aufgeladen.
Die noch vorhandenen sozialstaatlichen Reproduktionstätigkeiten werden mehrheitlich von Frauen geleistet – ein Bereich, der vermehrt marktförmig und damit für viele nicht mehr bezahlbar organisiert wird. Dieser Umbau kalkuliert stillschweigend mit der Akzeptanz von Frauen zu dieser nun stückweise ins Private zurückverlagerten individuellen Reproduktionsarbeit.

Die stärkere Zunahme von marktvermittelter Reproduktionsarbeit führt in Folge aber zu divergierenden Produktivitäten. Während sich der Profit in Bereichen der Produktion, wie zum Beispiel der Autoproduktion, bedingt durch Technisierung und Intensivierung der Arbeit steigern lässt, ist dies für die Reproduktionsarbeiten nicht möglich. Kinder lassen sich eben nur begrenzt schneller erziehen oder Senior_innen schneller pflegen. Während im Produktionsbereich die Produktivität einer Subjekt-Objekt Logik folgt, ist dies im Bereich der Reproduktion eine Subjekt-Subjekt-Logik. Die emotionale Beziehung in diesem Verhältnis ist hier ein entscheidender Faktor.
Um jedoch die Kosten für diesen stark wachsenden Bereich und zur überwiegenden Mehrheit von Frauen organisierten Arbeiten niedrig zu halten, werden so in Folge die Löhne gesenkt und die Arbeitsbedingungen prekarisiert. Inzwischen findet gesamtgesellschaftlich, quantitativ gemessen, die meiste Lohnarbeit im Reproduktionsbereich statt. Zynisch gewendet haben Frauen so zwar quantitativ bessere Chancen eine Lohnarbeit zu finden, an der Machtrelation zwischen den Geschlechtern – geschweige denn am eigenen Elend – ändert das aber natürlich nichts.

Über die gutbezahlten oder Gewinn produzierenden, gesellschaftlich mit Macht und Ansehen verknüpften Positionen verfügen weiterhin Männer, alle Debatten um die geschlechtliche Zusammensetzung des Vorstands der Telekom hin oder her. Die gesellschaftlich weit verbreitete Auffassung, „die Gleichberechtigung“ sei erreicht und der Feminismus in Folge überholt, erscheint dagegen als glatter Hohn.

„Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang“ (Deutschlandlied)
Auch im Jahre 2011, in dem in der BRD immerhin weitgehend die Rechtsgleichheit der Geschlechter durchgesetzt ist (Dies gilt aber nicht z. B. für das Recht auf Abtreibung, welches weiterhin verweigert bleibt.), hat sich an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung weiterhin kaum etwas geändert und damit auch nichts an der Doppelbelastung von Frauen, mit deren Mehrarbeit schon immer stillschweigend kalkuliert wurde. Auch für Personen, die sich außerhalb der Zwei-Geschlechterordnung verorten, gilt dabei diese prekäre Existenzweise, jedoch in anderer Form, da sich die Materialisierung der hierarchischen Zwei-Geschlechterordnung einen Bruch mit dieser nicht „erlauben“ kann.
All die formale Rechtsgleichheit sagt aber nichts aus über die Bedingungen, unter denen diese Gleichheit hergestellt wird. Die hier vom Staat mit seiner Rechtsgleichheit hergestellten und gesicherten Zustände bleiben die des Privateigentums an Produktionsmitteln, der kapitalistischen Ausbeutung und damit historisch die der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Die patriarchalen Verhältnisse sind also weiterhin nicht abgeschafft. Es gilt sie so revolutionär zu stürzen wie den Kapitalismus, die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Gänze.


Den Flyer als PDF zum Ausdrucken:
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Zum Geschlechterverhältnis im Kapitalismus. Ein Diskussionsbeitrag der BA.