Antifa Basics Broschüre (2007)

:: Intro ::

Seit zweieinhalb Jahren gibt es den AntiFa-AK von solid.org. Unsere Arbeitsschwerpunktesind die inhaltliche Auseinandersetzung mit Faschismus und antifaschistische Praxis (Beteiligung an Demos, „Rock gegen Rechts“ Konzerte, Aktionen, Vorträge usw.). Gleichzeitig bleiben und wollen wir aber nicht dabei stehen bleiben, da erfolgreiche AntiFa-Arbeit für uns immer auch antikapitalistisch, internationalistisch und antipatriarchal sein muss. Aus allgemeiner Kritik und Unzufriedenheit mit der zumeist bestehenden AntiFa-Praxis ist in Diskussionen der unten stehende Text entstanden. Dieser Text spiegelt unseren momentanen Diskussionsstand wider und ist als Anregung für weitere Diskussionen und Praxis auch außerhalb unserer Gruppe gedacht. Dieser Text beschäftigt sich bei der Beschreibung, was Faschismus ist, vor allen Dingen mit der Ausprägung von Faschismus als Bewegung, mit dem wir es aktuell zu tun haben. Dabei gehen wir aber auch auf Ideologie und Formen der Herrschaft von Faschismus ein. Dies ist unserer Meinung nach notwendig, um Faschismus als Bewegung zu verstehen und er folgreich antifaschistisch denken und handeln zu können.
Bremen, Mai 2007

:: Wo lebst du eigentlich? ::
Die kapitalistische Gesellschaft, in der wir leben, ist notwendigerweise von Krisen und ständigen sozialen Auseinandersetzungen geprägt. Diese entstehen durch den permanenten Wettbewerb aller gegen alle, der immer wieder aufs Neue gesellschaftliche GewinnerInnen und vor allem VerliererInnen produziert. Dies führt auf der Seite der Lohnabhängigen und Erwerbslosen zu Verelendungsprozessen. Hierbei ist andererseits das Kleinbürgertum, oder auch Mittelstand genannt, die Schicht, die in diesen Auseinandersetzungen am stärksten von einem sozialen Abstieg bedroht ist. So wirkt sich jede wirtschaftliche Krise im Kapitalismus besonders deklassierend auf den Mittelstand aus und führt so nicht selten bei diesen Leuten zu einer Empörung gegenüber ihrer politischen Führungsriege. Diese Form von enttäuschtem Nationalismus ist häufig die Ursache für eine radikalere faschistische Denkrichtung

:: Was denkst du eigentlich? ::
Jenseits ihrer wirklichen gesellschaftlichen Stellung zueinander, gibt es in allen Schichten und Klassen weitere Vorstellungen von ihrem Verhältnis zur restlichen Gesellschaft. Die Gesamtheit dieser Vorstellungen bezeichnen wir als Ideologie bzw. falsches Bewusstsein. Ein Beispiel von falschem Bewusstsein ist die Vorstellung „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Dies ist zwar offenkundiger Blödsinn, er füllt aber für die herrschende Klasse einen gewissen Nutzen. Aufgrund der oben erwähnten speziellen Lage des Mittelstandes entwickelte sich aus ihm die faschistische Ideologie als verkehrtes falsches Bewusstsein. Verkehrt deswegen, weil diese Ideologie nicht nur objektiv Quatsch ist, sondern ihm auch praktisch nicht nützt. Dabei knüpft die faschistische Ideologie an Teile der bereits bestehenden autoritären Ideologien an. Beispiele hier für sind Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Militarismus und Sexismus. Diese werden in der faschistischen Ideologie aber nicht einfach nur zusammengefasst, sondern zum Selbstzweck erweitert. Ein „friedlicher“ gar pazifistischer Faschismus wäre also ein Widerspruch in sich selber. Der Faschismus ist ein Programm des ständigen Krieges nach innen und außen, eine reale Verwirklichung der „verkehrten“ Ziele des Mittelstandes ist durch den Faschismus somit nicht möglich. Der Faschismus ist in seinem Kern eine „bewahrende“ konservative Ideologie. Dabei geht es nicht um die Rückkehr zu einem realen Punkt in der Vergangenheit, sondern um die Verherrlichung eines nie da gewesenen „Idealzustandes“. Diese Ideologie stellt nicht bloß eine falsche Vorstellung der herrschenden Verhältnisse dar, sondern dient vor allem dem Zweck der Ausgrenzung bestimmter Menschen, die an diesem konstruierten Idealbild scheitern sollen. Gleichzeitig soll eine andere Gruppe von Menschen aufgrund ihrer idealisierten Merkmale vereinnahmt und in diese rassistische Weltvorstellung eingespannt Werden. Deswegen steht der Faschismus, obwohl er zum Teil in der Opposition zum Staat zu stehen scheint, nie im realen Widerspruch zur kapitalistischen Gesellschaft. Der „Antikapitalismus von Rechts“ ist deshalb bestenfalls Selbstbetrug. Es geht dessen Vordenkern gar nicht um die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft, sondern nur um die Indienstnahme der gesamten Bevölkerung für die gewalttätigen Zwecke und Ziele des Staates.

:: Faschismus in der Bewegung ::
Der Faschismus in der Bewegung ist der Versuch, aus den Mittelschichten auf die im Kapitalismus immer wiederkehrenden ökonomischen und politischen Krisen in einer stabilisierenden Weise zu reagieren. Mit seinem (national-)sozialrevolutionären und reaktionär antikapitalistischen Getöne gelingt es dem Bewegungsfaschismus auch weitere Schichten anzusprechen. Beispielhaft dafür sind die Kampagnen gegen Hartz IV, die Globalisierungsgegnerschaft und die „ Umweltschutz ist Heimatschutz“ -Aktionen der aktuellen faschistischen Bewegungen. Hier befindet sich der Faschismus als Bewegung teilweise in einem Widerspruch zu Staat und Kapital. Der Faschismus ist also auch ein Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse, bzw. Ausdruck der Verarmung und Deklassierung von Teilen derselben.

:: Faschismus an der Macht ::
Da der Faschismus in der Bewegung alleine nie stark genug wäre, um die politische Macht zu erlangen, ist er gezwungen Koalitionen mit anderen Schichten einzugehen. Das Kapital z.B. hat seinerseits besonders in offenen Krisensituationen erfolgreich auf Bündnisse mit dem Faschismus gesetzt; – aber auch Teile der ArbeiterInnen, Angestellten und Erwerbslosen waren und sind für den Faschismus ansprechbar. Diese „Koalitionsgesuche“ des Faschismus können aber nur Erfolg bei einer gleichzeitigen sozialen und politischen Krise der bestehenden Verhältnisse haben. Diese Krise, in Form von Verarmung und Verelendung großer Teile der Gesellschaft, sowie ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust staatlicher und wirtschaftlicher Apparate, führt zu Polarisierungen und Radikalisierung (nicht nur im Bewußtsein) vieler Menschen. Die Schwäche der radikalen Linken führt deshalb zu einer objektiven Stärkung des Faschismus in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist eine radikale Linke gesellschaftlich kaum präsent, so daß z.B. Protestbewegungen leichter von Rechts „übernommen“ werden können, zum anderen bietet die radikale Linke die einzig sinnvolle Kritiksowohl des Faschismus, wie auch der herrschenden Verhältnisse.

:: Demokratie gegen Nazis? ::
(Bürgerlich-parlamentarische) Demokratie ist die effektivste Form von Herrschaft in dieser Gesellschaft, da in diesen Demokratien durch die Legitimation der Herrschenden durch die Beherrschten, zum Beispiel durch Wahlen, ihnen ein hohes Maß an Freiheit und Beteiligung vermittelt wird. (Bürgerlich- parlamentarische) Demokratie ist also die Freiheit, der eigenen Unfreiheit und Ausbeutung zuzustimmen. Unser Kernargument gegen den Faschismus kann also nicht sein, dass er nicht „demokratisch“ sei. Denn das ist weder für noch gegen Nazis ein Argument. Rassismus, Nationalismus, Sexismus, Militarismus, Antisemitismus und die Vorstellung vom autoritären Sicherheitsstaat usw. sind Bestandteile der bürgerlichen Gesellschaft. Faschismus greift diese Bestandteile auf und verschärft sie; – er ist also auch ein Ausdruck unserer gesellschaftlichen Ordnung. (Bürgerlich-parlamentarische) Demokratie als Teil der herrschenden
gesellschaftlichen Verhältnisse ist daher denkbar ungeeignet, den Faschismus zu bekämpfen. Dennoch ist sie als deutlich kleineres übel gegen den Faschismus zu
verteidigen.

:: Alerta Antifascista! ::
Antifaschistische Praxis darf also, will sie erfolgreich sein, niemals jenseits von radikaler Linke, das heißt nicht jenseits von antikapitalistischer, antipatriarchaler , antiautoritärer Theorie und Praxis stattfinden. Für die antifaschistische Politik gelten also dieselben grundsätzlichen strategischen Anforderungen wie an alle anderen Felder linksradikaler Theorie und Praxis.

:: Allein machen sie dich ein ::
Erfolgreiche antifaschistische Politik setzt Organisierung voraus. Spontane Aktionen mögen im Einzelfall den Eindruck von Er folg vermitteln, ihre Wirkung ist aber meistens nur kurzfristig. Um mittelfristige und langfristige Er folge zu erzielen, ist eine kontinuierliche politische Arbeit notwendig. Diese ist nur aus einem verbindlichen organisatorischen Rahmen heraus möglich. Wir lehnen Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung grundsätzlich ab. Daraus leiten wir, da wir unser Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft nicht mit den Mitteln der Herrschaft erfolgreich erkämpfen können, Anforderungen an unsere Organisierung ab. Hierarchien, egal welcher Art, haben deshalb bei uns nichts zu suchen. Dies beinhaltet sowohl offene Hierarchien, wie sie in Kaderorganisationen zu finden sind, als auch verdeckte. Beispielhaft für diese sind Gruppen, die von ihrem Anspruch her hierarchiefrei sind, die formell auch keine SprecherInnen oder AnführerInnen haben, sich in Wirklichkeit aber durch ein hohes Maß an informellen Hierarchien und (männlichem) Mackertum auszeichnen. Dabei ist die hierarchiefreie Organisierung ein Anspruch an uns selbst, dem wir versuchen, weitestgehend zu genügen. Konkrete Ansätze für uns zur Verwirklichung dieses Anspruches sind die kontinuierliche Weiterbildung aller, zum Abbau von Wissenshierarchien. Dabei stellt die Theoriearbeit für uns nicht Selbstzweck dar, sondern befindet sich in Wechselwirkung mit Praxis und Gesellschaft. Praxis ist somit für uns nicht spontaner, nach dem Lustprinzip ausgerichteter Aktionismus, sondern (bestenfalls) das Ergebnis gemeinsamer Strategiedebatten. Diese werden mit einer größtmöglichen Offenheit gegenüber „Neuen“ geführt. Wichtig ist uns hierbei, dass diese Praxis nicht nur einen kleinen elitären Kreis einbindet, sondern gesellschaftliche Breite und so erst Relevanz in dieser erreicht. Aber gesellschaftliche Breite ist für uns kein Selbstzweck, sondern notwendige Voraussetzung zur Erkämpfung unserer Ziele. Deswegen verzichten wir bei dieser dafür notwendigen Form von Bündnisarbeit aber bewusst nicht auf unsere politischen Grundsätze.

:: Die Aktionsform bestimmt das Bewusstsein ::
Der Erfolg einer Aktion misst sich für uns nicht nur am Erreichen ihres konkreten Zieles. Mindestens genauso wichtig ist es uns durch diese nachhaltig ein kritisches Bewusstsein zu schaffen. Über vielfältige, möglichst breite Formen der Einbindung und Beteiligung möglichst vieler Menschen ist dies am ehesten möglich. So bietet die Aktionsform der Massenblockade nicht nur die Möglichkeit einen Naziaufmarsch zu stoppen sondern den Teilnehmenden, unabhängig von ihrem Bewusstseinsstand, im kollektiven, selbstorganisierten Widerstand auch die direkte Erfahrung so gemeinsam erfolgreich die eigenen Interessen gegenüber den herrschenden Verhältnissen durchzusetzen. So besteht die Möglichkeit, aus dem eigenen Teilbereich Antifaschismus heraus, die Verbindung zum Kampf ums „Ganze“, die Abschaffung der herrschenden Verhältnisse, zu ziehen.

Kapitalismus?
Als Kapitalismus wird eine Wirtschaftsordnung verstanden, die sich durch Privateigentum an Produktionsmitteln sowie Produktion für einen den Preis bestimmenden Markt auszeichnet. Der Kapitalismus ist die der jetzigen Gesellschaft innewohnende Wirtschaftsform. In ihr besitzen einige wenige, die Kapitalisten_innen, die Produktionsmittel (Fabriken, Firmen, etc.) während die Mehrheit der Menschen gezwungen ist, für Lohn zu arbeiten. Da Geld das einzig legale und verordnete Mittel ist, um sich in dieser Gesellschaft Dinge anzueignen, sind die meisten Menschen gezwungen an dieses „knappe Gut“ heranzukommen. Dass es dabei zu Konkurrenz, Abgrenzungen und verschiedensten Herrschaftsformen kommt, ist eine logische Notwendigkeit.
Für weitere Infos empfehlen wir:
Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung.
Karl Marx: Das Kapital, in: MEW 23-25.

Patriarchat?
Mit Patriarchat meinen wir die Herrschaft der gesellschaftlich als „Männer“ definierten Menschen über „Frauen“ in allen Bereichen des Lebens. (Dies schließt besondere Formen der Unterdrückung z. B. gegenüber „Schwulen“, „Lesben“, „Transgender“, etc. ein.) Diese Form der Herrschaft ist dabei historisch und in Zukunft nicht auf den Kapitalismus begrenzt.
Für weitere Infos empfehlen wir:
Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter
Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft

Antisemitismus?
Antisemitismus ist die u. a. rassistisch motivierte Ablehnung und Bekämpfung der von den AntisemitInnen als „jüdisch“ definierten Menschen. Er ist dabei nicht mit dem v. a. vor-kapitalistischen „Antijudaismus“ zu verwechseln. Eine der aktuellen Formen des Antisemitismus ist z. B. ein bestimmter „Antizionismus“, bei dem der Antisemitismus als Vernichtungsdrohung gegen den Staat Israel auftritt. Einige Theoretiker gehen von einer notwendigen Verbindung des Antisemitismus mit dem Kapitalismus als „strukturellen Antisemitismus“ aus.
Für weitere Infos empfehlen wir:
Moishe Postone: Deutschland, die Linke und der Holocaust.
Hannes Heer: Hitler war’s. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit