Kein Spiel für die Nation! (2014)

Am 5. Juli 2014 hielten wir auf der Demonstration des „Bündnis gegen Nationalismus Bremen“ unter den Titel „Keine Party für die Nation“ folgenden Redebeitrag.

Kein Spiel für die Nation!

Copa para quem? – Die Fußball-WM für wen?

Wird dieser Tage Kritik an den Ereignissen in Brasilien geäußert, so ist diese zumeist reduziert auf die FIFA als veranstaltende Organisation oder die sozialen Verhältnisse in dem Austragungsort Brasilien. Während dem Weltfußballverband zumeist die Kommerzialisierung des Sports oder Korruption vorgeworfen wird, verstummte die Berichterstattung in den bürgerlichen Medien über die Proteste der brasilianischen Bevölkerung am Rande der Spiele fast gänzlich, als der Ball endlich anfing zu rollen und dann spätestens, als Jogis Elf zum ersten Mal den Rasen betrat.
Doch wogegen genau richtet sich der soziale Protest der Brasilianer*innen eigentlich? Die Proteste fanden ihren Beginn im Juni letzten Jahres. Ihren Ursprung hatten sie in dem Protest gegen die Erhöhung der Preise im öffentlichen Nahverkehr. Auch wenn bereits knapp anderthalb Wochen nach Beginn der Proteste ein Teilerfolg erzielt wurde und die Preiserhöhung der Bustickets in den zwei größten Städten des Landes, São Paulo und Rio de Janeiro, seitens der Verwaltungen rückgängig gemacht wurde, ging der Protest weiter. Schnell richteten sich die Demonstrationen auch gegen andere soziale Missstände, unter anderem einem korrupten Verwaltungsapparat, steigende Mieten oder hohe Preise für Lebensmittel. Zugleich rückte auch der scheinbare Widerspruch in den Blick der Proteste, dass ein Land mit einem derart maroden Bildungssystem sich die teuerste WM in der Geschichte leisten könne. Es kam weiterhin zu Demonstrationen im ganzen Land. Auch jetzt, während der WM kommt es täglich zu Massendemonstrationen, Blockaden der Zufahrtswege zu den Stadien, Straßenschlachten zwischen Demonstrant*innen und Sicherheitskräften z.B. Weitgehend ohne Kenntnisnahme der deutschen Öffentlichkeit. Denn statt sich sozialen Unmuts und Widerstands zu widmen, will man schließlich dieser Tage lieber in schwarz-rot-gold geschmückt der deutschen Nationalmannschaft zujubeln.

Schland? Schloch!

Wir haben mit dem Feiern der Nationalmannschaft, also der Parteinahme für die eigene Nation, schon grundsätzlich ein Problem. Nationalismus erzeugt immer ein Innen und Außen, schließt also Menschen aus dem nationalen Kollektiv aus. Außerdem befürwortet er eine Gesellschaftsordnung, die für ihre Insass*innen schädlich ist. Sie basiert auf Gewalt, Zwang, Herrschaft und Ausbeutung. Diese Gesellschaft, in der wir leben, ist kapitalistisch organisiert. Die Menschen in ihr stehen in einem ständigen Konkurrenzverhältnis zueinander, sei es in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder sogar in ihren privaten Beziehungen.
Der größte Teil der Menschen ist von den Produktionsmitteln, welche für die Erzeugung des gesellschaftlichen Reichtums nötig sind, ausgeschlossen. Um teilzunehmen und die eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können, also zum Beispiel um sich Essen oder eine Wohnung zu kaufen, ist ausreichend Geld notwendig. Dieses bekommt man im Austausch der eigenen Ware Arbeitskraft gegen Lohn, es entsteht ein Ausbeutungsverhältnis zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in. Diese herrschenden Verhältnisse zeigen bereits einen grundsätzlichen Widerspruch zu einer Gesellschaft, von der alle in ihr lebenden Menschen profitieren: Anstatt dass die Waren für die Bedürfnisse der Menschen produziert werden und für diese frei zugänglich sind, wird zum Zwecke des Profits produziert. Wer bei diesem Spiel aller gegen alle verliert droht hier Isolation und Ausgrenzung. Anderswo hat es tödliche Folgen. Möglich wird dies, weil die Produktionsmittel nicht allen gehören, sondern Privateigentum Einzelner sind. Dies sicherzustellen und zu schützen ist eine der Aufgaben des Staates, welches er durch die Durchsetzung des Gewaltmonopols realisiert. Dieser unterwirft die Staatsbürger*innen seinem Recht und sichert damit das Fortbestehen von Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang.

Schwarz-rot-geil?

In feindseligen Verhältnissen geben Selbstbilder den Menschen Halt und Orientierung, ermöglichen die Erklärung der Gesellschaft. Sie stiften Identität. Nationalismus ist ein solches Selbstbild. Er wirkt als ideologischer Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Während die Menschen sich täglich als Konkurrenzsubjekte gegenüber stehen, ermöglicht der Nationalismus das Aufgehen im nationalen „Wir“. Obwohl sonst das tägliche Hauen- und Stechen gegenüber anderen dominiert, sind sie dennoch nationalökonomische Schicksalsgenoss*innen. An Stelle der eigenen Interessen tritt das Interesse der Nation.
Die scheinbare Aufhebung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit suggeriert den Menschen eine Aufhebung gesellschaftlicher Hierarchien. Auf der Fanmeile ist es egal, welcher Klasse man angehört und über wie viel materiellen Wohlstand man verfügt, im Vordergrund steht, dass man deutsch ist. Zugleich wirkt diese Ideologie ausgrenzend. Rassistische und nationalistische Übergriffe gehören zur bitteren Realität der Spieltage mit deutscher Beteiligung. Auch wenn sich meist nur ein geringer Teil der Menschen auf den Fanmeilen an derartigen Übergriffen beteiligt, wird an der Anfeindung von Menschen, die einfach keine Lust haben, sich auch noch nach Feierabend in den Dienst der Nation zu stellen und deshalb den nationalen Taumel kritisieren, deutlich, dass es um weit mehr geht als nur um Sport! Während die Deutschen in heiterer Bierseeligkeit feiern, geben sie ihre Zustimmung zu der Verschärfung der Lebensrealität Erwerbsloser, der systematischen Verarmung weiter Teile Europas und einer zutiefst mörderischen Flüchtlings- und Außenpolitik.

Den 3. Oktober zum Desaster machen!

Unsere Kritik daran, dass Menschen während sportlicher Großereignisse für ihr Land jubeln, zielt also nicht nur darauf ab, Exzesse dieses Nationalismus, zu skandalisieren, so verurteilenswert sie auch sind. Wir finden Nationalismus grundsätzlich scheiße, sei er auch noch so vermeintlich „friedlich“. Diese Kritik wollen wir heute hier auf die Straße bringen! Denn Nationalismus bedeutet immer ein Angriff auf das schöne Leben für alle! Und zur Kritik bieten sich Anlässe genug! Wenn Mitte Juli die Autofähnchen wieder eingepackt werden und die schwarz-rot-goldenen Wimpel aus den Fensterscheiben deutscher Wohnhäuser verschwinden, geht der kapitalistische Normalvollzug in all seiner Widerwärtigkeit weiter. Am 3. Oktober finden in Hannover die offiziellen Einheitsfeierlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zum 24. Jahrestag der Einverleibung der DDR statt. Auch hier werden wir mit vielen Menschen gemeinsam auf die Straße gehen und den herrschenden Verhältnissen den Kampf ansagen! Denn eine befreite Gesellschaft kann nur ohne Staat, Nation, Kapital, patriarchaler Strukturen, gegen alle Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen funktionieren.

Für eine solidarische Gesellschaft statt dem nationalen Zwangskollektiv! Nie wieder Deutschland! Für den Kommunismus!