Der 7. Oktober und seine Folgen

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1. Voranmerkung: Wozu dieses Statement?

Als kritische Kommunist:innen, die in der internationalen radikalen Linken aktiv und Teil von Bündnissen und Kampagnen sind, sehen wir die Notwendigkeit, uns zur gegenwärtigen antisemitischen Hochstimmung in der deutschen und globalen Linken zu verhalten. Die innerlinke Antisemitismuskritik, die Anfang des Jahrhunderts noch deutlich präsenter war, scheint verhallt zu sein. Dies wollen wir als Anlass nehmen, diese aktuellen Entwicklungen innerhalb der Linken zu kritisieren und darzulegen, warum wir eine ideologiekritische, antiautoritäre und antinationale Linke für notwendig erachten.

Wir erleben zugleich eine vermeintliche Form von Antisemitismusbekämpfung und Israelsolidarität durch staatliche Organe und Teile der „Mehrheitsgesellschaft““, die voller Instrumentalisierungen bis hin zu offenem Rassismus sind. Auch dazu möchten wir uns hiermit verhalten.

Es ist uns aber in diesem Statement kein Anliegen, innerhalb der aktuellen Situation einzelne islamistische Strukturen zu untersuchen, militärtaktische Ratschläge zu geben oder eine adäquate Lösung des Konflikts vorzuschlagen. Uns ist bewusst, dass der Raum, in dem sich die gegenwärtige antisemitische Hochstimmung breitmacht, auch eine Reaktion auf die Kriegsführung durch die israelische Armee in Gaza ist. Diese hat zehntausende Menschen, darunter viele Zivilist:innen, das Leben gekostet und große Teile der Region zerstört. Wir trauern um die Toten und sind solidarisch mit der notleidenden Bevölkerung Gazas. Für eine emanzipatorische Linke gilt es auch jene Strukturen zu unterstützen, die in Gaza für eine Perspektive auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben und gegen die Schreckensherrschaft der Hamas und reaktionäre Gesellschaftsbilder kämpfen, etwa indem sie sich für ihre Rechte als Arbeiter:innen, als Frauen oder als Queers einsetzen.

Ebenso sind uns die Konflikte und Auseinandersetzungen innerhalb Israels, insbesondere mit den rechtsextremen Teilen der Regierung bewusst. Wir möchten dennoch betonen, dass der aktuelle Krieg in Gaza durch das terroristische Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, bei dem über 1200 Menschen aus antisemitischen Motiven brutal vergewaltigt und ermordet wurden, und bei dem 239 Menschen als Geiseln entführt wurden, von denen viele bis heute festgehalten werden. Mit unserer Kritik möchten wir nicht das Recht auf Trauer und Protest absprechen und auch nicht Leid gegeneinander aufwiegen, sondern auf ein allgemeines Problem der globalen Linken eingehen.

2. Die Zäsur vom 7. Oktober

Der 7. Oktober 2023 markiert eine Zäsur. Die Ausmaße und Details der Gräuel schockieren: Systematische Folter, Verstümmelungen, Entführungen und systematisch eingesetzte sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Diese wurden bewusst eingesetzt, um antisemitische Gewalt zu entfalten und Angst vor Vernichtung auszulösen. Die Massaker sollten Jüdinnen:Juden als solche treffen, die Erinnerung an eine Jahrhunderte lange Geschichte der Pogrome und Vernichtungsandrohungen aktivieren und damit auch das Selbstverständnis des Staates Israels, Schutzraum für Jüdinnen:Juden gegen antisemitische Verfolgung zu sein, angreifen.

Die einschneidenden Ereignisse des 7. Oktober wurden in der globalen Linken erstaunlich wenig reflektiert. Stattdessen entzündete sich eine massive Explosion antisemitischer Angriffe. Große Teile der globalen Linken sind dabei tragischerweise Plattform für diesen Antisemitismus und liefern den Treibstoff dafür.

So erleben wir bei etlichen Linken Abwehr bis zur Leugnung und klammheimlicher Freude. Andere verharren angesichts des aufbrausenden Antisemitismus in politischer Lähmung, anstatt dass sie zu einer solidarischen Praxis übergehen.

Dies verwundert nicht, enttäuscht aber – ist Antisemitismus doch ein zentrales Moment der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse und Kritik an diesem daher Grundvoraussetzung für jegliche gesellschaftliche Emanzipationsbestrebung.

3. Eine neue globale Welle des Antisemitismus

Während linke Solidarität mit den Opfern des 7.10. fast komplett ausblieb, fanden noch vor Beginn der militärischen Operationen der IDF meist pro-palästinensische Massendemonstrationen statt, deren Skript eindeutig und bekannt war: Israel ist eine koloniale Besatzungsmacht, die verschwinden sollte; Israel ziele auf die Vernichtung aller Palästinenser:innen ab; Israel sei das Böse, das beseitigt werden soll. Auf den Straßen wurde dabei nicht einfach Solidarität mit den Palästinenser:innen geteilt, sondern zu oft etwas, was in seinem Wesen virulenter Israelhass ist. Es zeigte sich eine Überidentifizierung mit der „palästinensischen Sache“, die in weiten Teilen der globalen Linken als Identitätsbaustein, Erkennungsmerkmal, Ersatzkampf und als kollektives Ritual dient.

Die grausamen Taten der Hamas wurden dabei als Akt der Dekolonisierung, als „Ausbruch aus dem Gefängnis“ oder als „Akt des Widerstandes“ gefeiert und umgedeutet. Mit den lauthalsen Rufen nach „Kontextualisierung“ des 7. Oktobers wird eine Rechtfertigung oder zumindest Relativierung der Gräuel eingefordert. Es ist absurd, mit welcher Vehemenz Parolen, Taten und Denkmuster vom Anklang des Antisemitismus freigesprochen werden. Ein großer Teil der weltweiten Linken bemühte sich darum, das Massaker als vielleicht etwas übertriebene Notwehr zu erklären und zu entschuldigen – wenn es nicht gleich als antikolonialer Befreiungsschlag gefeiert wurde. Auch in Deutschland hatte ein Teil der Linken, von pro-palästinensischen Gruppen und deren „internationalistischen“ Unterstützer:innen, über stalinistische und trotzkistische Organisationen, queerfeministische Kreise bis hin zu autonomen Hausbesetzer:innen in Berlin und anderswo kein Problem damit, islamistischen und antisemitischen Terror in Befreiung umzudeuten. Die sonst in linken Kreisen gepredigte Betroffenenzentriertheit scheint es für Israelis, noch dazu für jüdische, nicht zu geben.

Kein Zweifel: Die Lebensumstände der knapp 2 Millionen Menschen im Gazastreifen sind durch den Krieg entsetzlich. Bereits vor den jüngsten Kriegshandlungen waren Verhältnisse in Gaza extrem prekär. Jedoch gibt es horrende Doppelstands für die Bemessung der menschenrechtlichen Situation in den palästinensischen Gebieten und andernorts. Auch das Leid der Palästinenser:innen scheint viele Kritiker:innen nur dann zu interessieren, wenn als vermeintliche Täter:innen Jüdinnen:Juden ausgemacht werden können: Sie schweigen besonnen zur Zerschlagung der Gewerkschaften, Ermordung von LGBTIQ*, der Geiselhaft, in die die palästinensische Zivilbevölkerung seitens der Hamas und ihrer Mitstreiter:innen aktuell genommen wird, und zu den menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen die arabischen Nachbarstaaten geflüchtete Palästinenser:innen akzeptieren. Sie schweigen zur Grenzfestigung Ägyptens, das keine palästinensischen Geflüchteten aufnehmen will, und zu den außenpolitischen Interessen des Iran, der die Palästinenser:innen zum Spielball seiner Machtinteressen macht. Sie schweigen auch zu den fortwährenden Raketenangriffen der Hamas und Hisbollah auf Israel.

Wenn die Kriegshandlungen der israelischen Armee und das Leiden der Bevölkerung in Gaza durch Linke mit historisch spezifisch konnotierten Begriffen bezeichnet werden, zeigt sich darin häufig eine regelrechte Sehnsucht danach, Jüdinnen:Juden als Täter:innen ausmachen zu können – auf eine Weise, die sie oft implizit und manchmal explizit den NationalsozialistInnen gleichstellen. Wenn das bei Deutschen auftritt, handelt es sich um eine bekannte Schuldabwehrstrategie. Häufig geht dieser Vorwurf mit der Erzählung einher, Israel bzw. Jüdinnen:Juden würden sich gezielt durch den Verweis auf die Shoah vor jeglicher Kritik immunisieren. Bei beidem muss klar benannt werden, dass hier Muster des sekundären bzw. Schuldabwehr-Antisemitismus deutlich werden. Für viele scheint folgendes zu gelten: Jüdinnen:Juden waren in Vergangenheit höchstens, wenn sie von Rechten angegriffen werden, Opfer – jetzt können sie nur als Täter:innen gedacht werden. Diese Auffassung deckt sich mit der antisemitischen Sichtweise, nach der Jüdinnen:Juden grundsätzlich als überlegen, mächtig und täterhaft imaginiert werden.

4. Zur ideologischen Funktion des Antisemitismus

Antisemitismus funktioniert als eine Welterklärung, die in der Gedanken- und Affektwelt der Antisemit:innen fußt. Komplexe gesellschaftliche Phänomene, Krisen und Ambivalenzen werden in der antisemitischen Logik widerspruchsfrei aufgehoben. Verschwörungsideologien ermöglichen Antisemit:innen, simple Erklärungsmuster für komplexe und verunsichernde individuelle und strukturelle Phänomene zu finden. In der antisemitischen Logik gilt es, das Bild des „Juden als übermächtige Figur der herrschenden Klasse“ aufrecht zu erhalten und je nach aktueller gesellschaftlicher Krise Jüdinnen:Juden als „Schuldige“ für selbige auszumachen.

Antisemitismus ist aus kritisch-materialistischer Perspektive auch immer als die umfassende soziale Pathologie bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft und als Produkt von Herrschaftsverhältnissen zu betrachten. Im Antisemitismus bricht die Widersprüchlichkeit bürgerlicher Vergesellschaftung als offener Wahn heraus. Antisemitismus ist dabei auch Moment der unzureichenden oder verdrehten Versuche, die gegebenen Herrschaftsverhältnisse zu begreifen und zu überwinden. Dabei lässt sich Antisemitismus nicht als ein Moment von Herrschaft selbst erklären, ganz nach dem Schema einer direkten Unterdrückung. Antisemitismus hat außerdem immer einen eliminatorischen Fluchtpunkt: Antisemit:innen wollen nicht Jüdinnen:Juden „einfach“ unterdrücken oder abschieben, sondern vernichten. Antisemitische Weltbilder haben die Funktion, dass diejenigen, die sie reproduzieren, sich als Opfer der „übermächtigen jüdischen Weltherrschaft“ stilisieren können. Das ermöglicht ihnen, sich nicht mit gesellschaftlichen und eigenen Widersprüchlichkeiten auseinandersetzen zu müssen und keine Verantwortung für das eigene (politische) Handeln und Denken zu übernehmen.

Daraus folgt zum einen, dass sich Antisemitismus nicht einfach mit etwas mehr Aufklärung aus der Welt schaffen ließe. Damit geht einher: Antisemitismus lässt sich nicht durch ein bestimmtes Handeln der Jüdinnen:Juden auflösen, sondern nur durch die Überwindung der tiefen gesellschaftlichen Grundlagen des Antisemitismus. Jüdinnen:Juden steht nur die Möglichkeit offen – und sie sind vor die Notwendigkeit gesetzt – die Abwehr der Konsequenzen des Antisemitismus zu organisieren oder seine Folgen hinzunehmen.

Seit der Shoah lässt sich Antisemitismus weniger offen artikulieren. Eine Art und Weise, antisemitisch agieren zu können, ohne offenen Hass auf Jüdinnen:Juden zu artikulieren, besteht darin, den Hass auf Israel als jüdischen Nationalstaat – und als eine Konsequenz aus der Shoah – zu projizieren, der nun für alles Böse verantwortlich ist.

5. Anfälligkeit für Antisemitismus innerhalb der Linken

Eine Anfälligkeit für Formen von Antisemitismus wurzelt auch in spezifischen Merkmalen und ideologischen Momente einiger linker Strömungen, die wir im folgenden näher analysieren wollen.

5.1 Der autoritäre (Neo-)Leninismus

Einige antisemitische Denkmuster stammen aus einem autoritären (Neo-)Leninismus:

1.) Lenins These des Übergangs vom Konkurrenzkapitalismus zu seinem Begriff von Imperialismus geht einher mit einer verzerrten Auffassung kapitalistischer Herrschaft. Diese wird nicht als eine subjektlose Herrschaft aufgefasst, die zwar durch Akteur:innen reproduziert wird, aber aus dem Prozess fortwährender Kapitalakkumulation besteht und einen „stummen Zwang“ der ökonomischen Verhältnisse entfaltet. Stattdessen erscheint sie als direkte und willkürliche Herrschaft der Monopole und eines „parasitären Finanzkapitals“. Diesem Verständnis wohnen eine Neigung zur Personifizierung von Herrschaft, eine Anfälligkeit für Verschwörungsdenken und eine Fetischisierung des „werktätigen Volkes“ inne, die Überschneidungen mit Antisemitismus aufweisen. Zeitweise wurde ein solcher Antisemitismus von der Sowjetunion und ihren Sympathisant:innen aktiv betrieben und ansonsten mindestens heruntergespielt.

2.) Statt einer Analyse der globalen kapitalistischen Verhältnisse, Hierarchisierungen, und kolonialen Kontinuitäten sowie einer Kritik der Form des Nationalstaates, findet eine vereinfachte Aufteilung der Welt in Unterdrückende und Unterdrückte statt. Damit wird die „nationale Befreiung“ – als Befreiung durch den Nationalstaat und als Nationalkollektiv – zum emanzipatorischen Ziel schlechthin gemacht. Diese Auffassung fußt wiederum im unkritisch positiven Bezug zur Nation, den Stalin und viele realsozialistische Projekte nach ihm mit der Vorstellung von „Sozialismus in einem Land“ propagierten. Gleichzeitig werden „unterdrückte Völker“ – auch durch die maoistische Fortbestimmung des Modells – zum stellvertretenden Subjekt der Revolution gemacht: Palästina wurde als das unterdrückte Volk schlechthin aufgefasst und der Kampf „für die Befreiung Palästinas“ zum Symbol und Ersatz aller Befreiungskämpfe. Dabei spielte historisch auch die Außenpolitik der Sowjetunion eine Rolle, die im Kontext des Kalten Krieges den palästinensischen Nationalismus gegen das von den USA unterstützte Israel stärkte.

3.) Ein weiterer Grund für den positiven Bezug auf Volk und Nation liegt im populistischen Moment: Wessen Ziel primär die Eroberung staatlicher Macht ist, der muss nicht auf kollektive Selbstaufklärung und Emanzipation aller Menschen setzen, sondern will vor allem eine Masse mobilisieren. Wenn der Begriff der Klasse nicht mehr zieht, haben Leninist:innen deshalb oft kein Problem damit, diese Masse als Volk und Nation zu adressieren.

4.) Das Ziel der Machtergreifung führt auch zur Tendenz, falsche Mittel zu rechtfertigen. Das kann dann auch islamistischer Terror sein. Die Konzentration auf den Kampf gegen „Imperialisten“ führt zu Allianzen mit explizit regressiven Kräften wie beispielsweise IslamistInnen.

5.2 Die postmoderne Identitätspolitik

Eine zweite Quelle der Anfälligkeit stammt aus einigen Spielarten eines identitätsfokussierten Aktivismus postmoderner Prägung. Solche Positionen sind in einigen queerfeministischen und antirassistischen Kreisen, aber auch in Teilen der Klimabewegung vertreten. Sie verbinden sich damit mit entscheidenden progressiven Kämpfen der Gegenwart. Hier wirken die Ablehnung einer Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Totalität mit einer exklusiven Fokussierung auf Betroffenheitserfahrung, Sprechorte und Identitäten zusammen.

1.) Die Unmöglichkeit der Repräsentation der eigenen Leid- und Diskriminierungserfahrung durch Andere wird zum alleinigen Ausgangspunkt der Kritik erklärt. Nur wer von einer Unterdrückungsform betroffen ist, kann die Wahrheit darüber sprechen. Dessen Perspektive ist unmittelbar normativ und es braucht keine weitere Kritik der Verhältnisse und keinen Streit um Begriffe und Analysen. Dabei wird übersehen, dass jede Artikulation einer Erfahrung bereits durch Theorien und Begriffe vermittelt ist und dass gerade in diesen Strömungen häufig schablonenhaftes Denken reproduziert wird. Um die eigene Leid- und Unterdrückungserfahrung zu artikulieren, muss man sich wiederum zu einer bestimmten Identität bekennen und sich als Teil eines Kollektivs verstehen. Die reine Fokussierung auf eigene Identitätskonstruktionen und vermeintliche Fremdzuschreibungen und die damit einhergehende reine Argumentation auf die vermeintliche eigene Betroffenheit(en) verhindert nicht nur eine materialistische Kritik an den Ursprüngen von Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus, sondern auch auch einen Diskurs, der über den eigenen Erfahrungs- und Emotionshorizont hinaus geht. Auffällig ist wiederum dabei, dass die Erfahrungen von Jüdinnen:Juden mit einer gewissen Konsequenz ausgeblendet werden. Insbesondere für sich als links verstehende Jüdinnen:Juden war die ausbleibende Solidarität, das Schweigen zu den Massakern der Hamas bis hin zu offenen Ausschlüssen aus queeren und antirassistischen Räumen ein Moment der Entsolidarisierung vermeintlich Verbündeter.

2.) Statt einer Kritik der herrschaftsgeladenen, gesellschaftlichen Vermittlung einer in sich widersprüchlichen Totalität, die sich über Antagonismen konstituiert und Zwangskollektive hervorbringt, wird sich an „Strukturen“ abgearbeitet, die vermeintlich authentische Identitäten überlagern würden. Dem entspricht oft ein machtanalytischer Ansatz, in dem die Konsequenz zur Ursache gemacht wird: Gewiss führt die gegebene Vergesellschaftung dazu, dass Gruppen aufgrund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Verortung über mehr Macht und damit verbundene Privilegien verfügen. Ausgeblendet werden aber sowohl die Verhältnisse, die Ursache dieses Machtgefälles sind, als auch die Tatsache, dass die grundlegende Form von Herrschaft eben die der Verhältnisse selbst ist. Dies führt auch zur falschen Annahme, dass Herrschaft bloß als binäres und lineares Machtverhältnis zu verstehen sei, als direkte Unterdrückung einer Gruppe durch eine andere mächtigere Gruppe und ausschließlich als binärer Kampf der Unterdrückten gegen das genau identifizierbare Unterdrückende. Daraus folgt ein klare Aufteilung der Welt in Unterdrückte und Unterdrücker, ähnlich wie im (Neo-)Leninismus. Anstelle einer Analyse von (Neo-)Kolonialismus, Imperialismus und Hierarchisierungen auf dem Weltmarkt tritt eine schlichte Einteilung in den bösen Globalen Norden und den guten, weil unterdrückten, Globalen Süden. Widersprüche und Konflikte innerhalb der Länder und Regionen des Globalen Südens finden wenig Berücksichtigung. Antisemitismus wird oft komplett ausgeklammert, jüdische Menschen gelten, solange sie helle Haut haben, schlichtweg als Weiße, und damit als Profiteur:innen des Rassismus. Damit wird zum einen geleugnet, dass alle Jüdinnen:Juden ebenfalls als „Andere“ rassifiziert werden. Zum anderen übersieht es die geographisch diversen Ursprünge des Judentums und die Tatsache, dass viele Jüdinnen:Juden zugleich zusätzlich auch von Rassismen betroffen sein können. Antisemitismus kann gerade deshalb nicht begriffen werden, da es sich nicht als lineare Unterdrückung auffassen lässt, sondern Folge der in sich widersprüchlich vermittelten Herrschaftsverhältnisse und der Unfähigkeit, diese zu begreifen, ist. Wenn nun von Rassismus Betroffene äußern, dass das Massaker der Hamas ein antikolonialer Befreiungsschlag war, dann muss und darf das nach dieser postmodern-identitätspolitischen Logik nicht hinterfragt werden. Dass aus feministischer und antisemitismuskritischer Sicht die Opfer des Massakers Solidarität und Emphatie verdienen würden, wird ausgeklammert, weil sie Israelis sind und Israel in dieser binären Logik nur als weißer, kolonialer Staat und Teil des Globalen Nordens betrachtet wird. Mit dieser linearen Auffassung von Unterdrückung geht wiederum ein positiver Bezug auf die Zwangskollektive einher, die diese Herrschaftverhältnisse hervorbringen, es kommt damit auch zur Affirmation regressiver Ideologien und Gruppierungen, wenn diese von Subalternen getragen werden.

3.) Unterdrückungsformen werden dabei als formal analog aufgefasst und bestehen nebeneinander – eine Gruppe mit Macht unterdrückt eine Gruppe ohne Macht. Damit bleibt das jeweilig spezifische unterbelichtet,was insbesondere im Fall von Antisemitismus auffällig ist. Anderseits wird ihr reales und differenziertes Zusammenwirken innerhalb der gegebenen Herrschaftsverhältnisse nicht begriffen. Der Versuch, irgendwie Rechenschaft dafür zu tragen, vollzieht sich dann häufig als eine Aneinanderreihung innerhalb von Solidaritätsbekundungen: Jede Kundgebung muss alle weiteren Unterdrückungsformen erwähnen. Wenn aber alle Unterdrückungsformen analog sind, liegt es nahe, nach einem Grundmodell und einer alles zusammenfassenden Unterdrückungsform zu suchen: Dazu wird gerne (ohne realen Grund) die „palästinensische Sache“ gemacht. In der „Solidarität mit Palästina“ wird jede andere Solidarität mitvertreten: Jede Kundgebung muss also eine „free Palestine“ Kundgebung sein.

4.) Gerade weil die Kritik der realen Verhältnisse verpasst wird, vollzieht sich Aktivismus dabei oft als Bekundung der eigenen guten Gesinnung, als Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Gruppe der Guten und als selbstreferentieller Gestus der vermeintlichen Auflehnung und Radikalität. Reflexion und Kritik werden durch Mobilisierung ersetzt, die hauptsächlich eine Identität verschaffen soll. Diese Form vermeintlicher Solidarität mit Palästina hat kaum etwas mit einem realen Interesse an der Lage von Palästinenser:innen zu tun. Sie wird allzu oft Identitätsfaktor, Wiederkennungsmerkmal, Ersatzkampf, Marker der eigenen Radikalität, wird zum kollektiven Ritual und wird auch als solches abgerufen. Diese Selbstmobilisierung kann antisemitisch verstärkt werden.

Als sich als emanzipatorisch verstehende Kommunist:innen wissen wir, dass die Befreiung der Gesellschaft nur mit der Befreiung des Subjekts einhergeht, das bedeutet aber auch, dass es nicht „gut“ oder „böse“ gibt, sondern wir Widersprüche und Ambivalenzen in der Welt um uns herum und in uns aushalten müssen. Es bedeutet auch ernstzunehmen, dass in allen Schichten der Bevölkerung, inklusive der Linken, Ideologien entstehen, also falsche Vorstellungen über die Welt. Ideologien entspringen den Strukturen, die die Menschen vorfinden und festigen diese wiederum. Ideologiekritik, inklusive einer Kritik des Nationalismus und des Antisemitismus muss deshalb Bestandteil emanzipatorischer Praxis sein.

6. Leerstelle Islamismus

Wo Ideologiekritik höchstens nebensächlich ist, entsteht auch innerhalb der Linken bisweilen die Bereitschaft, die Hamas als irgendwie „objektiv emanzipatorisch“ zu betrachten. Das hat auch mit der Leerstelle Islamismus innerhalb linker Kritik zu tun.

Als islamistische Organisation strebt die Hamas die Vernichtung aller Jüdinnen:Juden und die Errichtung eines Gottesstaats an. Ihr religiöser Fundamentalismus geht auch mit einem extrem patriarchalen Geschlechterbild und der Unterdrückung von Frauen und Queers einher. Sie schert sich nicht um das Leben, auch nicht um das von Palästinenser:innen, von denen sie die Bereitschaft zum Selbstopfer verlangt – und diese in deren Missbrauch als menschliche Schutzschilder bereits voraussetzt. Ihr Programm steht damit jeglichem Streben nach menschlicher Emanzipation fundamental entgegen.

Der Islamismus ist, ähnlich wie Faschismus und Rechtspopulismus, eine moderne Krisenreaktion. Anstatt die Zerwürfnisse des Kapitalismus zu analysieren und diese Verhältnisse aufzuheben, wird Halt und Heil in imaginierten Gemeinschaften wie Volk, Nation oder eben Umma (der Gemeinschaft der gläubigen Muslim:innen) gesucht, einhergehend mit Abschottung bis Vernichtung gegen alles, was dort jeweils nicht hinein gehört – oder sich nicht unterordnet. Wie auch der Faschismus versucht der Islamismus mit mörderischer Konsequenz sein politisches Programm und seine Vorstellung von Gesellschaft durchzusetzen. Deshalb müssen für den Islamismus auch politische und religiöse Macht in einer Hand liegen. Seine Attraktivität resultiert vielleicht deshalb auch genau daraus: Nicht nur zu quatschen, sondern mit selbstmörderischem Einsatz alles daran zu setzen, den Vorstellungen der höheren Macht zu entsprechen. Damit stellt der Islamismus in vielen Weltregionen einen Hauptfeind linker emanzipatorischer Bestrebungen dar. Daher sollten wir als Kommunist:innen das Problem Islamismus weder abtun, noch mit den Nationalist:innen in ein Horn stoßen, indem sie „den Islam“ zum Feind erklären.

7. Keine falschen Einseitigkeiten

Um nach der vorhergegangenen Kritik an Formen des „Pro-Palästina“-Aktivismus weiter Teile der Linken eines deutlich zu machen: Es versteht sich von selbst, dass auch mit einigen abgedrifteten Antideutschen kein Stich zu machen ist, die die gesamte Bevölkerung von Gaza entmenschlichen, denen die Lage und die Zukunft der der Palästinenser:innen egal sind, die nicht die eigene Tragik und spezifische Kritikwürdigkeit der militärischen Handlungen der israelischen Armee erkennen, sondern in Kriegsbegeisterung ausbrechen. Die kein Problem damit haben, dass zehntausende Zivilist:innen getötet wurden, Millionen Menschen ihre Wohnungen verloren haben und fliehen mussten, dass ein Großteil der Gebäude und Infrastruktur in Gaza zerstört wurden. Die keine Kritik für die rechte israelische Regierung und die eigenen Machtinteressen Netanyahus übrig haben. Der Begriff der Antideutschen wird zwar in innerlinken Debatten inflationär und oft falsch benutzt, um jegliche Antisemitismuskritik abzuwehren. In der realen Strömung der Antideutschen finden sich bisweilen aber einige kritikwürdige Positionen, die oftmals mit antimuslimischem Rassismus einhergehen und sich weit jeder vernünftigen Ideologiekritik entfernt haben. Um der Komplexität der aktuellen Situation gerecht zu werden, müssen auch solche Auswüchse kritisiert werden.

Das bedeutet auch, das Leid der Bevölkerung von Gaza anzuerkennen, auf das wir mit großer Sorge schauen. Zehntausende1 Menschen wurden im Zuge der Operationen des israelischen Militärs getötet. Auch wenn ein gewisser Teil davon Kombattanten der Hamas und anderer Organisationen sind ist die Zahl an zivilen Toten enorm. Die humanitäre Lage ist aufgrund der Versorgungsknappheit, der durch die Zerstörung von Gebäuden und Zwangsevakuierungen erzeugte Wohnungslosigkeit und der medizinischen Krise katastrophal. Hunderttausende Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, während so gut wie kein Bereich in Gaza sicher genannt werden kann. Wer anführt, die Hamas und ihre Ideologie ließen sich durch Beschwichtigung nicht besiegen, steht trotzdessen vor der Frage ob die aktuelle Kriegsführung dazu geeignet ist.

Eine emanzipatorische Kritik blickt wiederum mit großer Sorge auf die Entwicklungen in der israelischen Politik. Die rechtsextremen Teile der Regierung verfolgen auch eine explizit anti- arabisch-rassistische Politik, die das Sicherheitsbedürfnis der israelischen Bevölkerung instrumentalisiert und Eskalationen hervorruft. Auch das Leben der noch in Gaza festgehaltenen Geiseln setzt diese Politik mit ihrer Kriegsführung aufs Spiel. Netanyahus Politik ist häufig von einem Handeln zugunsten seiner eigenen Machterhaltungsinteressen bestimmt, wofür er mit den Rechtsextremen und den gewalttätigen Teilen der Siedler:innen in der Westbank paktiert. All dies wird immer wieder innerhalb der israelischen Gesellschaft thematisiert, wie etwa die Proteste der Angehörigen der Geiseln zeigen, die eben auch Austragungsorte der Kritik an ihrer Regierung sind.

8. Zur Kritik der staatlichen Antisemitismusbekämpfung

Unsere Kritik gilt auch Aspekten der Antisemitismusbekämpfung und Israelsolidarität durch staatliche Organe und Teile der Mehrheitsgesellschaft, die mitunter voller Instrumentalisierungen bis hin zu offenem Rassismus sind. Antisemitismuskritik wird zur Zeit häufig nicht zur realen Bekämpfung von Antisemitismus abgerufen, sondern stellt selbst ein kollektives Ritual der geläuterten Deutschen und als Selbstvergewisserung bürgerlich-liberaler Ideologie dar. Dabei lassen sich mehrere problematische Aspekte beobachten. Nicht alle Bemühungen gegen Antisemitismus fallen unter diese Kritik. Dies zu behaupten, würde sämtliche Reflexionen von NS-Vergangenheit und ihren Kontinuitäten, die dieser Gesellschaft maßgeblich von Jüdinnen:Juden und Linken abverlangt wurden, vom Tisch wischen.

1.) Die Reaktionen von deutscher Mehrheitsgesellschaft und Staatsapparaten belaufen sich auf öffentlichkeitswirksam inszenierte Gegnerschaft zum Antisemitismus – ihr bleibt weiterhin das Schicksal lebendiger Jüdinnen:Juden gleichgültig. Das zeigen nicht nur die enorm gestiegen Zahlen antisemitischer Gewalt der letzten Monate. Der selbsternannte Aufarbeitungsweltmeister weiß, dass es tunlichst auf Distanz zur allzu offenen Judenfeindschaft zu gehen gilt, ohne aber einen genaueren Begriff des Antisemitismus zu haben. Das resultiert in Symbolpolitik, deren Folgenlosigkeit für die Bekämpfung von Antisemitismus mit ihrer tatsächlichen Brisanz in anderen Bereichen korrespondiert.

Am Beispiel der Verbote vermeintlicher bzw. tatsächlicher antisemitischer Demos lässt sich gut nachzeichnen, wie wenig es diese Mobilmachungen schwächt und welch hoher Preis, nämlich die Außerkraftsetzung der von diesem Staat so hochgehaltenen Grundrechte, dafür in Kauf genommen wird. Dieser Umgang weiß gegen Antisemitismus wenig auszurichten, wohl aber dient er dazu, staatliche Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Das derartige Repression niemals gegen rechte Antisemit:innen ins Feld gebracht wird, ist ebenso eine unschöne Binsenweisheit wie der Umstand, dass es hierbei überwiegend migrantisierte Menschen sind, die von solchen Maßnahmen betroffen sind. Rassistische Polizeigewalt und Racial Profiling ist beispielsweise seit dem 7. Oktober angestiegen. Rassistische Ressentiments und Praktiken manifestieren sich nicht erst seit dem Massaker der Hamas, dieses wird aber als Begründung dazu genutzt, insbesondere muslimische oder als muslimisch gelesene Menschen in Geiselhaft für die Gräueltaten der Hamas zu nehmen, was häufig auch Kinder und Jugendliche im Schulunterricht trifft. In diesem Kontext geschehen zudem Asylrechtsverschärfungen, die Verstärkung der Abschiebepraxis und die Einschränkung von Grundrechten. Antisemitismusbekämpfung wird von staatlicher Seite dazu genutzt, rassistische Praktiken zu manifestieren. Einem Ausspielen von Antisemitismus und Rassismus gegeneinander stellen wir uns klar entgegen.

2.) Zum Teil wird diese Form von (vermeintlicher) Antisemitismusbekämpfung als Entlastungs- und Externalisierungsstrategie durchgeführt. Die proklamierte Gegnerschaft zum Antisemitismus wird vollends bigott angesichts des Versuchs seiner Auslagerung als migrantisches Importprodukt. Ohne Frage: es gibt spezifische Formen des Antisemitismus. Es ist eine falsch verstandene Form antirassistischer Vorsicht, diese nicht zu benennen. Die Externalisierung des Antisemitismus ist jedoch ein Ausdruck deutscher Schuldabwehr. Sie dient dann vor allem dem Zweck, nicht mehr den Antisemitismus der eigenen (Ur-)Großeltern, sein Nachwirken in der deutschen Nachfolgegesellschaft und das antisemitische Potential bürgerlicher Verhältnisse zu behandeln. Der doppelt perfide Kniff ist, dass das durch die selbstattestierte Läuterung zu moralischen Höhenflügen berufene Deutschland zusätzlich nicht selten noch seine rassistischen Bedürfnisse auslebt und dabei vor allem muslimische Menschen als die eigentlichen Übeltäter:innen zeichnet. Sinnbildlich für die rassistischen Doppelstandards bzgl. Antisemitismus ist z.B. die andere Behandlung des bayerischen „Menschenfreunds“ Hubert Aiwanger, dessen Flugblattaffäre ihn sogar als gestärkter Politiker hervorgehen ließ. Jedoch trifft auch genau dieser Schuldabwehrantisemitismus auf deutsche nicht-migrantische und nicht-jüdische Linke zu, die sich als „moralisch überlegen“ und „gute Antifaschist:innen“ begreifen; sich dabei die Involviertheiten der eigenen Familie in die NS-Verbrechen und eigene Täter:innenpotenziale einzugestehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist ein schmerzhafter Lern- und Reflexionsprozess.

3.) Wenn sich die bürgerliche Mitte als Chef-Kritikerin des Antisemitismus inszeniert, geht es um mehr als das bloße Bedürfnis, schlussendlich auf der moralisch korrekten, guten Seite angekommen zu sein. Zum einen wird der bürgerliche Staat und die bürgerliche Mitte von Antisemitismus freigesprochen und Antisemitismus extremismustheoretisch zu einem Problem der „Extremen“ gemacht. So wird im gleichen Zug die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft und ihre politische Form als wichtige Quelle von Antisemitismus verdrängt. Stattdessen wird recht plump gegen Linke vorgegangen und auf der eingeübten Klaviatur des antimuslimischen Rassismus gehämmert, in der muslimische Menschen als rückständig und unaufgeklärt, tendenziell gewalttätig und zu radikalen Ansichten neigend gezeichnet werden.

Noch perfider ist der Versuch, ein Doppelpaket zwischen Antisemitismusbekämpfung und der gegenwärtigen rassistischen Abschiebe- und Abschottungspolitik und der sie begleitenden rassistischen Töne im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Ganze Communities und Kieze werden kriminalisiert und einige reale Bedrohungssituationen für Jüdinnen:Juden für autoritäre Law and Order Politik genutzt. Das wird insbesondere an (vermeintlichen) Palästinenser:innen durchexerziert: Eine vorgebliche Kritik des Antisemitismus wird hier vorgeschoben, um gegen alle Palästinenser:innen zu pauschalisieren – welche es wiederum oftmals als Staatenlose besonders schwer unter dem Zugriff deutscher Migrationsbehörden haben.

Antisemitismus und Rassismus sind in ihrer Funktionsweise unterschiedlich, haben aber konkrete (gewaltförmige) Auswirkungen auf die Lebensrealitäten von Betroffenen. Antisemitismus und Rassismus, wie aktuell häufig passiert, gegeneinander auszuspielen oder eine Hierarchisierung des Leides der Betroffenen aufzumachen, steht jeglicher solidarischen Praxis und materialistischen Kritik entgegen.

Zusammenfassend: Zu oft wird Antisemitismusbekämpfung für eine politische und diskursive Agenda instrumentalisiert. Das geläuterte Deutschland hat die nationalsozialistische Vergangenheit bewältigt, fühlt sich als Aufarbeitungsweltmeister. Jetzt kann man sich dem Antisemitismus der anderen widmen. Deshalb kann man jetzt getrost als Deutsche auch wieder wer sein in der Welt. Deshalb ist man als bürgerlicher Staat die Spitze der Zivilisation. Eine antinationale Staatskritik muss auch und gerade diesen nationalen Konsens in Deutschland und die Normalität bürgerlicher Verhältnisse angreifen.

9. Abschluss

Gegen die antisemitische Entmenschlichung von Jüdinnen:Juden wie auch gegen die rassistische Entmenschlichung von Palästinenser:innen und den falschen Widerspruch des Kampfs gegen Antisemitismus und gegen Rassismus treten wir ein für eine Linke mit dem Ziel universeller Befreiung. Für uns wäre das ein Zustand, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Wir plädieren also für eine ideologiekritische, antinationale und antiautoritäre Linke. Wir müssen als Linke und Kommunist:innen ernstnehmen, dass sich in dieser Gesellschaft in allen Teilen der Bevölkerung, auch innerhalb der Linken, autoritäre Ideologien herausbilden, die Emanzipation entgegenstehen. Diese zu kritisieren und eine Praxis zu entwickeln, in der diese Ideologien sich auflösen können, durch die Perspektive einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft, in der alle gut leben können, einem antiautoritären Kommunismus, muss Aufgabe einer radikalen Linken sein. Dabei gilt es auch, Antisemitismus in seiner Besonderheit anzuerkennen als Ideologie, die auf Vernichtung von Jüdinnen:Juden zielt – gerade weil Antisemitismus oft unerkannt bleibt und sich gerne antikapitalistisch und rebellisch gibt. Das Ziel bleibt die Aufhebung von Kapitalverwertung und Nationalstaaten in einer kommunistischen Weltgesellschaft, die keine menschenfeindlichen Ideologien wie Antisemitismus mehr hervorbringt und die eine Assoziation von Menschen auf freier und bewusster Basis, sowie von Zwangssubjektivierungen befreite Identitätsbestimmungen, ermöglicht.

In diesem Sinne: Wir bleiben unversöhnlich.


Für eine antinationale, ideologiekritische und antiautoritäre Linke!


Gegen jeden Antisemitismus, für den Kommunismus.

Wir freuen uns auf konstruktive Fragen, Anmerkungen und Debattenbeiträge. Schreibt uns eine Mail an: info.antisemitismustext@systemli.org

verfasst von: Basisgruppe Antifaschismus Bremen, Eklat_MS, URA-Dresden, Antifa_nt München, Kritik&Praxis FFM, Redical [M] Göttingen, CAT Marburg, In/Progress Braunschweig

1 Es ist schwierig, genaue Zahlen zu benennen. Zum einen weil der Krieg täglich weiter geht und neue Opfer fordert, weshalb eine Nennung der Zahlen schon schnell wieder nicht aktuell wäre. Zum anderen aber auch, weil die verfügbaren Zahlen von der Hamas stammen und schwer überprüfbar sind.