Antifa-Strategiepapier (2007)

Antifa-Strategiepapier Dezember 2007
Solid.org – Antifa Arbeitskreis

Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte vom Faschismus schweigen“
(Max Horheimer)

0.
Seit der Auflösung der Antifaschistischen Aktion / Bundesweite Organisation im Jahr 2001 ist es sehr ruhig um die linksradikale antifaschistische Bewegung in Deutschland geworden und es scheint gar so, als befinde sich diese in einer tief greifenden Krise. Die „Antifa-Debatte“ hat sich im Laufe der Jahre in diversen Detailfragen verloren und hat mittlerweile kaum noch handlungsrelevante Bedeutung. Gerade in bewegungsarmen Zeiten aber stellt sich für uns besonders die Frage: Quo vadis Antifa? Es gilt also die Vorstellung von „erfolgreicher“ antifaschistischer Arbeit und Politik neu zu definieren und dazu bedarf es eines grundlegenden Diskurses, der nicht nur die gesellschaftliche Position von Faschist_Innen und die Ursachen von Faschismus mit einbezieht, sondern gleichzeitig Perspektiven für die Antifa-Bewegung aufzeigt.

1.
Für die Wiederbelebung einer Debatte, die sich damit auseinandersetzt, welche Rolle Antifaschismus heute zukommt, ist es wichtig, die Frage der Ursache von Faschismus zu beantworten. Uns ist bewusst, dass dieses Vorhaben relativ umfangreich ist, deswegen gehen wir an dieser Stelle nur auf einige Grundgedanken ein, die in unserer Antifa Basics Broschüre detaillierter dargelegt werden.

Es ist die kapitalistisch verfasste Gesellschaft, die durch die von ihr verursachten und ihr inhärenten Krisen bei den Menschen permanent Verelendungs- und Deklassierungsängste auslöst und somit den Nährboden für die Entstehung von Faschismus bereitet. Die Nichteinlösung des bürgerlichen Glücksversprechens führt dazu, dass reaktionäre Ideologien wie Patriarchat, Nationalismus, Rassismus und autoritäre Staatsvorstellungen, die jeweils bestimmte Zwecke in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft erfüllen, zum Selbstzweck werden und Menschen im Faschismus mit dessen (national)sozialrevolutionären Propaganda und Volksgemeinschaftsideologie eine Möglichkeit zur Aufhebung dieser gesellschaftlichen Missstände sehen. Gleichzeitig diente der historische Faschismus auch dazu, tatsächlich (prä)revolutionäre Bewegungen niederzuschlagen und fungierte somit als Konterrevolution gegen die erstarkende Arbeiter_Innenklasse. Dieser offene Terror wurde allmählich in der postfaschistischen Gesellschaft durch Maßnahmen präventiver Konterrevolution und Integrationsstrategien abgelöst.

2.
Die meisten Antifagruppen und –Zusammenhänge konzentrieren sich mittlerweile vollständig auf den reinen Anti-Nazi-Kampf. Sie verstehen Antifaschismus also als Selbstzweck.
Beschränkt mensch sich auf dieses Verständnis von Antifaschismus, so bedeutet dies letzten Endes nicht mehr (und auch nicht weniger) als die Verteidigung bürgerlich-kapitalistischer Werte und Normen – ganz im Sinne der vorherrschenden Demokratieauffassung von (bürgerlicher) Freiheit und (zur Ausbeutung notwendiger) Gleichheit.
Dieser Antifaschismus hat durchaus seine Legitimität bzw. Notwendigkeit unterscheidet sich jedoch vom staatstragenden, Anfang des Jahrtausends durch die rot-grüne Regierung proklamierten „Aufstand der Anständigen“ im Ergebnis nicht.

3.
An dieser Stelle beißt sich jedoch der bürgerliche Antifaschismus in den eigenen Schwanz.
Denn zunächst einmal steht Faschismus im Widerspruch zu den Freiheiten/Werten der Bürgerlichen Gesellschaft, deswegen wollen die bürgerlichen Antifaschist_Innen diese vor dem Faschismus verteidigen. Andererseits bringen jedoch genau diese Verhältnisse faschistisches Gedankengut hervor und unterstützen diese bzw. benötigen sie teilweise.

4.
Eine linksradikale antifaschistische Bewegung kann und muss also Antifaschismus über dessen puren Abwehrcharakter hinaustreiben, damit dieser nicht beim bürgerlichen Antifaschismus stehen bleibt. Hierzu ist es wichtig den Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus dazu zu nutzen, Radikalisierungs- und Politisierungsprozesse bei den Menschen in Gang zu setzen.
Dazu notwendig ist unserer Meinung nach eine niedrigschwellige Bündnisarbeit in Richtug von Basis und Bewegung. Eine Abgrenzung von reformistischen Antifaschist_Innen beispielsweise Schüler_Innen oder Gewerkschaftsbasis macht für uns deswegen keinen Sinn.

Anstatt sich ausschließlich auf Erscheinungsformen, also Ideologiefragmente, Gewalttaten oder Personen zu beziehen, muss Faschismus immer wieder im Kontext von Kapital, Staat und Patriarchat gestellt und problematisiert werden.
Darüber hinaus ist es erforderlich, klarzustellen, dass Antifaschismus nur dann langfristig „erfolgreich“ sein kann, wenn wir die Wurzeln des Faschismus, die kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaftsform überwinden.
Nur eine emanzipatorische gesamtgesellschaftliche Perspektive kann verhindern, dass Menschen aus sozialen Abstiegsängsten heraus faschistische Denkmuster übernehmen und sie dazu bewegen, sich für eine klassen- und herrschaftslose Gesellschaft einzusetzen. So sehr der Anti-Nazi-Kampf integraler Bestandteil von Antifa-Arbeit und oftmals auch erst Voraussetzung für emanzipatorische Politik ist, so bedeutsam ist die Einsicht, dass nur der Kampf ums Ganze, also das Eintreten für eine radikale Umwälzung dieses Systems, wirklich „erfolgreiche“ antifaschistische Politik ausmacht.
Das bedeutet, dass wir als radikale Linke in die konkreten sozialen Kämpfe und Bewegungen hineinwirken und in einem anti-sektiererischen Sinne breite gesellschaftliche Schichten für unseren antifaschistischen Kampf zu gewinnen müssen.