Die Grenzen verlaufen zwischen „oben“ und „unten“! (2005)

Weg mit der rassistischen Residenzpflicht! Bedingungsloses Bleiberecht für alle Flüchtlinge vor Krieg und Armut! Die sofortige Schließung aller Abschiebelager und -gefängnisse! Kostenfreie Bildung und Gesundheit für alle Menschen! Das Recht auf Legalisierung des Aufenthalts für alle illegalisierten Flüchtlinge! // Offene Grenzen für Alle!
„Wir wollen (…) dass unser Land sich nicht allein während des Turniers, sondern bereits im Vorfeld von seiner besten Seite zeigt: fußball-begeistert, vor allem aber gastfreundlich, weltoffen, tolerant, modern, innovativ.“ (Bundeskanzler Schröder in seinem Grußwort zur Fußball-WM 2006)Die Wirklichkeit sieht für einen großen Teil der über 7.300.000 MigrantInnen, die in diesem Land leben, anders aus.Nur ein viel zu geringer Prozentteil von ihnen verfügt über einen gesicherten Aufenthaltsstatus, woran auch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz nichts ändert.
Im Gegenteil: Seit dem 1. Januar 2005 sind grundsätzlich zwei Aufenthaltstitel vorgesehen: eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis und eine (unbefristete) Niederlassungserlaubnis. Daneben existiert die so genannte Duldung, was einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung gleichkommt. In der Regel wird eine unbefristete Niederlassungserlaubnis frühestens nach fünf Jahren erteilt. Ausgenommen sind hiervon nur MigrantInnen, die als besonders nützlich für die Bundesrepublik Deutschland eingestuft werden, z. B. Hochqualifizierte. Mit dieser Steuerung von Zuwanderung nach Maßstäben der ökonomischen Verwertbarkeit wird eine Entwicklung abgeschlossen, die 1993 mit dem so genannten „Asylkompromiß“ eingeleitet wurde. Im Windschatten einer Reihe von rassistischen Morden Anfang der 90er Jahre mit ihren unfassbaren Höhepunkten in Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen schränkte der damalige Deutsche Bundestag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP den Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte/r massiv ein. 1993 stellten noch ca. 320.000 Menschen einen Asylantrag, 2004 waren es nur noch 35.607 Menschen – lediglich 960 Menschen (dies entspricht 1,5% der Anträge) wurde Asyl bewilligt. Ein relevanter Faktor des „Asylkompromisses“ ist die so genannte Drittstaatenregelung. Danach können Flüchtlinge im Falle einer Einreise über ein anderes europäisches Land automatisch dorthin abgeschoben werden. Da der Begriff der „politischen Verfolgung“ als Voraussetzung für die Bewilligung eines Asylantrags im Grundgesetz nicht näher definiert ist, entscheiden die Ausländerbehörden willkürlich über Bleiberecht oder Ausweisung von MigrantInnen. Die Zahl der jährlichen Abschiebungen bleibt auf konstant hohem Niveau – besonders in Hamburg, Bremen und Berlin erhöhen Innensenatoren und AusländerInnenbehörden wechselweise den Druck auf bestimmte „ethnische Gruppen“.
Die brutale Abschiebepraxis, bei der es nicht selten auch zu Todesopfern kommt, wird durch so genannte Sammel- oder Massenausweisungen noch verschärft. Verhinderte Abschiebungen zeigen allerdings, dass Protest gegen diese Praxis durchaus Erfolg haben kann.2004 wurden erneut ca. 30.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben – in den ersten Monaten dieses Jahres setzte sich diese Entwicklung nahtlos fort. Im Zentrum stehen hierbei Menschen aus Afghanistan, dem Kosovo und dem Irak – somit den Kriegsschauplätzen der vergangenen Jahre. Laut Beschluss der Innenministerkonferenz vom 23./24. Juni 2005 wurden die Möglichkeiten für ein Bleiberecht für Menschen aus Afghanistan und dem Kosovo fast vollständig eingeschränkt, der bestehende Abschiebestopp in den Irak wurde aufgeweicht. Diese inhumane Politik gegen MigrantInnen findet nahezu deckungsgleich in allen westlichen Staaten statt – und sie hat System: während im Zuge der „europäischen Einigung“ und der kapitalistischen Globalisierung die Nationalstaaten in den reichen Wirtschaftszonen scheinbar in Auflösung begriffen sind, wird die Bewegungsfreiheit für Menschen aus den Regionen, die am schärfsten vom kapitalistischen Verwertungsdruck betroffen
sind, drastisch eingeschränkt. Der von antirassistischen Initiativen geprägte Begriff der „Festung Europa“ ist für Millionen von Menschen, die Hunger, Umweltzerstörung und Krieg zu entfliehen versuchen, grausame Wirklichkeit.Allein im Mittelmeer starben im vergangenen Jahr Tausende bei dem Versuch einer Flucht nach Spanien oder Italien. Im Golf von Mexico oder dem Südchinesischen Meer werden Jahr für Jahr Zehntausende mit miltärischen Mitteln von einer Einreise in die USA oder nach China abgehalten. Aus Gründen der „Wohlstandssicherung“ schotten sich die reichen Nationen immer stärker ab.Im Zuge des so genannten Kriegs gegen den Terror werden rassistische Denkmuster in der öffentlichen Diskussion wieder verstärkt. Wenn suggeriert wird, dass jeder Mensch muslimischen Glaubens eine latente Bedrohung darstellt und InderInnen den deutschen Kindern den Weg zu einer qualifizierten Ausbildung verbauen, ist es einfacher, die Gesetzgebung der Bekämpfung von Zuwanderung anzupassen. Hierzu benötigen die verantwortlichen PolitikerInnen nicht einmal unbedingt rassistische Ausschreitungen, wie in den 90er Jahren in Deutschland oder im Jahr 2000 in El Ejido (Spanien). Die kaum in Frage gestellte Unterscheidung in „Ausländer, die uns nutzen und solche, die uns ausnutzen“ (Bayerns Innenminister Beckstein) ebnet neuen Repressionen und verschärften Sicherheitsgesetzen den Weg.Die so genannte Residenzpflicht macht es für AsylbewerberInnen in Deutschland unmöglich, sich außerhalb eines definierten Landkreises zu bewegen und nimmt ihnen somit essentielle Grund- und Freiheitsrechte, wie das auf Bewegungsfreiheit. Ohne Aufenthaltsgenehmigung bleibt für MigrantInnen der Zugang zu Bildungswegen,zu Erwerbsarbeit und zu staatlichen Leistungen auf ein Minimum beschränkt. Die Praxis der meisten Städte und Gemeinden, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Form von Gutscheinen statt als Bargeld auszuzahlen, ist eine zusätzliche unerträgliche Schikane.Am härtesten trifft es jedoch jene, die von diesem Menschen verachtenden System in die Illegalität getrieben werden. Wir erklären uns daher auch unbedingt solidarisch mit diesen illegalisierten Flüchtlingen bzw. „sans papiers“, deren Leben dadurch von Verfolgung und schärfster Ausbeutung geprägt ist. Denn Grenzen verlaufen überall: im Sozialamt, auf Bahnhöfen, in der Innenstadt und an der Staatsgrenze.
Und sie sind da, wo Menschen befürchten müssen, nach ihren Papieren gefragt zu werden.Grundsätzlich hat es für uns Vorrang, diese beschriebenen Grenzen aufzubrechen. Schon jetzt aber kämpfen wir gegen die einzelnen Angriffe auf die Würde der MigrantInnen. Die Grenzen verlaufen zwischen oben und unten, nicht zwischen Völkern! Flyer als PDF downloaden