Folgenden Redebeitrag haben wir am 27. Januar 2025 bei der Kundgebung „Im Eingedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Gegen jeden Antisemitismus!“ am ehemaligen KZ Missler in Bremen-Findorff gehalten:

Der 27. Januar 1945 markiert das Ende der industriellen Vernichtung durch Arbeit und Gas in Auschwitz. Gemeinsam wollen wir an diesem Tag den in Auschwitz ermordeten Jüd*innen, den polnischen und sowjetischen Kriegsgefangen, den Sinti*zze und Rom*nja, Schwulen und Queers, sogenannten und angeblich Asozialen und Kriminellen, den Gewerkschaftler*innen, Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und den vielen anderen die in Auschwitz oder anderenorts Ermordeten und Verfolgten im Nationalsozialismus gedenken.

Die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee ist ein denkwürdiger Tag, an dem viele Menschen gerettet wurden. Er bedeutet aber leider, wie oft in vielen Reden nahegelegt, nicht den Anfang der Befreiung der Welt von den Nationalsozialist*innen. Denn diese bekleideten im Deutschland, vor allem in West-Deutschland – der BRD -, weiterhin öffentliche Ämter und bezogen gute Renten. Noch weniger markiert der 27. Januar den Sieg über die nationalsozialistische Ideologie. Das zeigt sich in der Übernahme des Antikommunismus als Haupterzählung des modernisierten deutschen Nationalismus nach ’45. Es zeigt sich aber vor allem am weitgehend unbehinderten Fortwirken des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Darauf liegt heute der Fokus unseres Redebeitrags:

Antisemitismus ist nicht einfach nur eine dumme, wahnhaft sich den Argumenten entziehende Vorstellung in den Köpfen vieler Leute. Hunger, Armut und Gewalt, Krise, Krieg und Klimakatastrophe, all die Bedrohungen und Elend das die die bürgerliche Gesellschaft jeden Tag aufs Neue hervorbringt, das erklären Antisemit*innen sich falsch. Nicht in ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen, Privateigentum und Staat, dem patriarchalen Kapitalismus, suchen sie die Gründe dafür, sondern in einzelnen Schuldigen. Anstelle von Gesellschaftskritik setzen sie das Pogrom, die gewaltvolle Jagd auf die vermeintlichen Schädlingen an der ansonsten ach so harmonischen Gemeinschaft von Ausgebeuteten und Ausbeutenden. Ein Kapitalismus ohne Antisemitismus, ohne den potentiell massenmörderischen Versuch der Harmonisierung dieses Gewaltverhältnisses ist deswegen nicht zu haben. Daran und nicht an der mangelnden authentischen Überzeugung vieler Demokrat*innen muss deswegen auch jeder Versuch scheitern, den Antisemitismus in der liberal-demokratischen Gesellschaft erfolgreich zu bekämpfen. Auch die bürgerliche Demokratie ist ohne Antisemitismus nicht zu haben!

All das zeigt, wie notwendig es ist, dass Jüd*innen die Sicherheit und den Schutz ihres Lebens selbst garantieren können müssen. In diesem Sinne und in dieser Funktion ist der Staat Israel eine historische Notwendigkeit.

Beim Fortleben des Antisemitismus können wir, als Teil der radikalen Linken, bei uns selbst anfangen: So sind unsere politischen Vorgänger*innen in Folge der 68er meistens daran gescheitert, Antisemitismus zu verstehen. Zu stark war hier der Fokus auf die politische Verfolgung von Kommunist*innen und Gewerkschaften. Die Shoah wurde als Mittel zum Zweck der Sicherung der autoritären Herrschaft der Nationalsozialist*innen missverstanden und alleine mit Kategorien der politischen Ökonomie erklärt. Auch in der modernen Linken wird die Ideologie des Antisemitismus viel zu oft geleugnet oder unterschiedslos als eine Form des Rassismus missverstanden. Aus diesem ausbleibenden Verständnis heraus erklären wir uns, dass viele andere Linke leider heute nicht hier mit uns gedenken.

Auch jenseits der Linken ist die Auseinandersetzung mit der Shoah und dem Antisemitismus nicht gelungen. Die Deutschen haben sich selbst verziehen. Anstatt einer Wiedergutmachung gab es im nationalen Selbstbild der Deutschen eine Wiedergutwerdung. Grade das macht die geistige Verrenkung der konservativen Deutschen möglich, zu akzeptieren, dass der Antisemit Hubert Aiwanger, stellvertretender bayrischer Ministerpräsident ist und bleibt und trotzdem so getan wird, als würde der Antisemitismus hauptsächlich “von außen” nach Deutschland kommen.

Selbstverständlich gibt es Antisemitismus auch bei Leuten, deren Vorfahren nicht schon während der Herrschaft der Nazis in Deutschland gelebt haben. Ein angeblich deutsches Wesen in dem der Antisemitismus schon angelegt ist, ist aber genauso Resultat einer völkischen Wahnvorstellung wie die Idee, ein besonderer Geburtsort mache Leute automatisch zu Antisemit*innen. Wahr ist aber auch, Antisemitismus, egal welcher, gehört bekämpft. Wer dabei so tut, als wäre die Verschärfung des Asylrechts ein Mittel gegen Antisemitismus, spielt niederträchtig Schutzbedürftige gegeneinander aus, um sich selbst reinzuwaschen.

Auch die Forderung nach einer Ausweitung der Befugnisse der Repressionsbehörden unter dem Vorwand, dass dies Jüd*innen schützen würde, lehnen wir entschieden ab. Zum einen werden diese Befugnisse unterschiedslos zur Unterdrückung von Klimaprotesten oder antifaschistischen Protesten genutzt. Zum anderen sind die Repressionsbehörden auch von Nazis und Antisemit*innen durchsetzt. Wie nah sich Beschützer*innen und Verfolger*innen sind zeigte sich nicht zuletzt in Köln, wo bei einer Gedenkkundgebung für den Antisemitischen Angriff in Halle ein Zivilpolizist, der zum Schutz des Vorsitzenden der Synagogengemeinde eingesetzt war, in einem Pullover der Nazimarke Thor Steinar erschien. Wie so oft gilt also auch hier: Antifa bleibt Handarbeit und wer im Kampf gegen Antisemitismus sich auf den Staat verlässt, der ist verlassen.

Deswegen, lasst uns heute nicht nur gedenken. Lasst uns auch versuchen, zukünftig gemeinsam, praktisch und solidarisch dem Antisemitismus und Nazismus und den Leuten, die diese Ideologien vertreten etwas Effektives entgegenzusetzen. In diesem Sinne: Gedenken heißt Kämpfen!