Anlässlich der kommenden Feierlichkeiten in Bremen zum 20. Jahrestag der „Wiedervereinigung“, aber auch der erwartenden Proteste dagegen, veröffentlichen wir folgendes Thesenpapier:
Antinationalismus als Querschnittsanforderung
Thesen zur Nation & ihre kommunistische Kritik

I.
Die herrschende Gesellschaft ist kapitalistisch verfasst. Das Kapitalverhältnis, dem sich niemand entziehen kann, stellt unter anderem den Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft her. Dieses Verhältnis bedeutet schon strukturell, also auch abseits sich wiederholender Krisen, immer wieder Ausbeutung, Elend und Unterdrückung. So kommt es zu einer permanenten Konkurrenz aller gegen alle.
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Indem der Staat alle seine Bürger_innen dem Recht unterwirft und somit auf das Eigentum als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen verpflichtet, welches er durch die Durchsetzung seines Gewaltmonopols sichert, gewährleistet er den kapitalistischen Normalbetrieb.
Diese Gesellschaft ist also schon in ihrem Normalvollzug abschaffungswürdig genug. Obwohl also eine emanzipatorischer Aufhebung der Gesellschaft mittels einer Revolution dringend von Nöten wäre, ist es bisher noch nicht dazu gekommen. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass sich die Einrichtung der Gesellschaft für die Menschen durch unterschiedliche Ideologien als unveränderbar darstellt. Die daraus resultierenden Gefühle der eigenen Ohnmacht werden in Kompensation und Sublimation gewendet.

II.
Bei der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse tritt uns unter anderem offen oder implizit die Nation bzw. „Deutschland“ als Gegenargument gegenüber. Zwischen der Erkenntnis der Verhältnisse als Voraussetzung ihrer Kritik und Umwälzung und den Insass_innen der Verhältnisse, steht also auch die Ideologie der Nation als Hindernis.
In einer imaginierten Kollektivierung hebt die Nation den Widerspruch von Kapital und Arbeit scheinbar auf. Sie wirkt so als ideologischer Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.
Die Nation stärkt sich durch die Konstruktion innerer und äußerer Feind_innen. Innere Feind_innen sind all diejenigen, die als Schädlinge am „eigenen“ Volk, Staat und Nation gelten. Dies sind beispielsweise Erwerbslose, Asylbewerber_innen, „Florida Rolf“, aber auch angeblich zu gierige Manager_innen. Die Staatsbürgerschaft als institutionelle Markierung der Zugehörigkeit stellt die Grenze nach außen dar. Als äußere Feind_innen gelten dabei der globale Terrorismus und Islamismus so wie als „Heuschrecken“ verschrieene ausländische Unternehmen.
Rassistische und antisemitische Denk-, und Praxismuster sind bei der Konstruktion der Feind_innen hilfreich. Im Antisemitismus z. B. wird die abstrakte Struktur kapitalistischer Vergesellschaftung personifiziert und gegen die imaginierten Feind_innen gewendet.
Der 3.Oktober als Feiertag oder das mediale Tamtam um die Fußballweltmeisterschaft der Männer sind dabei Beispiele für die Inszenierung des nationalen Kollektivs als mitreißendes Spektakel durch den Staat und seine Zivilgesellschaft. Neben „schwarz-rot-geil“ erscheint die Nation für ihre Angehörigen als Folie und Quelle einer möglichen Gewährleistung sozialer bzw. staatlicher Sicherungen. Gemein ist allen Begründungen der sich mit der Nation identifizierenden, das die Herrschaft der sie faktisch unterliegen als (nationale) Selbstbestimmung erscheint. Der Verzicht auf die Einforderung „übertriebener“ Lohnforderungen oder Streiks zu Gunsten von Kapital und Standort als Hoffnung auf die Sicherung der eigenen Lohnarbeitsplätze und sozialer Minimalstandards stehen dabei exemplarisch für die ausschließlicher Verhandlung der eigenen Interessen im Verhältnis vom Kapital, Staat und Nation. So machen die Angehörigen der Nation deren Interessen zu den ihren.

III.
So allgemein die Bestimmung der Nation möglich ist, ihre Ausformung vollzieht sich aber, historisch bedingt, jeweils territorial unterschiedlich. Die Kritik an ihr muss deswegen auch unterschiedlich sein. Gegenstand unserer Kritik ist deshalb die deutschen Nation. Ihre Bildung ist entgegen aller Mythen-, und Legendenbildung kein naturgewachsenes Produkt irgendwelche Völker, sondern Ergebnis der bewussten Durchsetzung kapitalistischen Vergesellschaftungsformen (Wert, Staat und Recht) des frühen bürgerlichen Staates.
Bestimmende Momente der deutschen Nationenbildung waren dabei die historisch-völkisch begründete Abgrenzung von angeblich äußeren Feind_innen, wie sie Beispielhaft in den „Befreiungskriegen“ gegen das Napoleonische Frankreich oder im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zum Ausdruck kamen, aber auch die Erfahrung des Scheiterns sozialer Emanzipationsbestrebungen wie in den Revolutionen von 1848/49 und 1918/19.
Die so erklärbare eingeschränkte liberale Tradition des deutschen Bürgertums bzw. der Gesellschaft in Deutschland mit der einhergehenden Herausbildung des massenhaften autoritären Charakters, ist so mitverantwortlich für die Bedingungen, die Auschwitz möglich gemacht haben.
Nachdem durch den Sieg der Alliierten über die deutsche Bevölkerung dieser ein „demokratisches Selbstverständnis“ aufgezwungen wurde, ermöglichte die Fortführung der kollektiv zelebrierten Arbeitsideologie und des Antikommunismus die nun folgende gemeinsame Verdrängung dessen.
Die Rebellion von 1968ff forderte dagegen die Auseinandersetzung mit der eigenen, deutschen Geschichte ein und wirkte so gesellschaftlich modernisierend. Die daraus folgende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus schuf die Grundlagen, die der rot-grünen Bundesregierung 1998 ermöglichten den nationalistischen Betrieb unverkrampft und geläutert zu vollziehen: Nicht trotz, sondern gerade wegen der deutschen Geschichte. Die „Wiedervereinigung“ der beiden Staaten BRD und DDR zum nun erneut auch vollständig souveränen Deutschland stellte die äußerliche Rahmenbedingung dazu da.
Die Kritik der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse zum Zwecke ihrer revolutionären Überwindung, kann nicht ohne Ideologiekritik und damit ohne eine Kritik der Nation erfolgen. Will sie dabei aber erfolgreich sein, muss sie zu den materiellen Verhältnissen durchschlagen. Die Kritik der Nation in Deutschland ist deshalb nicht trennbar von der Kritik der deutschen Nation, von den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer Gänze. Erkenn- und kritisierbar ist die deutsche Nation deshalb nicht losgelöst von in ihrer konkreten sozialen Wirklichkeit und den historischen Bedingungen, deren Ausdruck sie ist.

IV.
Die Organisation der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der “Wiedervereinigung“ in Bremen ist der Versuch, die nationale Einheit erneut als Spektakel zu inszenieren. Wenn wir die Verhältnisse und das aus ihnen resultierende Elend abschaffen wollen, müssen wir überzeugen, dass dies nicht mit der Nation, sondern nur gegen sie möglich ist. Die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse muss deswegen auch immer antinational sein. Eine befreite Gesellschaft liegt jenseits von Staat und Nation, Kapital und Arbeit.